Dänemark lässt Flüchtlinge ziehen
Weiterreise nach Schweden ohne Registrierung gestattet / Bestürzung über einwanderungsfeindliche Politik der Rechtsregierung
Bei vielen Dänen hat das Flüchtlingsdrama im eigenen Land für große Bestürzung gesorgt. Auch die Polizei selbst protestierte. »Die Situation ist unhaltbar. Die politischen Spielchen aus Kopenhagen müssen aufhören«, sagte Polizeigewerkschaftschef Claus Oxfeldt ungewöhnlich scharf. Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen wurde von der Opposition wegen Untätigkeit kritisiert.
Hunderte in Zügen aus Deutschland eintreffende Flüchtlinge weigerten sich, im dänischen Rødby auszusteigen, um sich registrieren zu lassen und in Unterkünfte gefahren zu werden. Es kam zu dramatischen Szenen. Auch musste die Schnellstraße E45 am Mittwoch in beiden Richtungen gesperrt werden. Dort hatten sich laut Dänischem Radio rund 300 Flüchtlinge, darunter auch Kinder und Senioren, zu Fuß auf den Weg nach Schweden gemacht.
Die Polizei versuchte vergeblich, die Flüchtlinge mit Hilfe von Übersetzern zu überreden, in Busse einzusteigen, um zu einer dänischen Asylbewerberunterkunft gefahren zu werden. Nur wenige ältere Flüchtlinge gaben aus Erschöpfung auf. Privatpersonen kamen den Wandernden mit Essen und Trinken zu Hilfe. Sogar eine Flugverbotszone wurde zeitweise über der Autobahn errichtet, anscheinend wegen des großen Medieninteresses.
In der Nacht zu Donnerstag handelte die Polizeiführung dann eigenmächtig ohne Weisung aus Kopenhagen. Flüchtlingen wurde angeboten, in Heimen zu übernachten und am kommenden Tag oder sofort nach Schweden weiterzureisen, wenn sie es wünschten.
Die Regierung berief sich zuvor stur auf die Dublin-Übereinkunft. Flüchtlinge, die kein Asyl in Dänemark beantragen, müssten zurück nach Deutschland ausgewiesen werden, weil sie sich illegal im Lande aufhielten, hieß es. Die bereits nach Deutschland ausgewiesen Flüchtlinge erhielten gar ein Verbot, Dänemark in den nächsten zwei Jahren zu betreten.
Laut Polizei sind seit Sonntag rund 3200 Flüchtlinge in Dänemark angekommen. Nur knapp 400 davon haben in dem als besonders einwanderungsfeindlich geltendem Land Asyl beantragt. Dänemarks Rechtsregierung führt seit Wochenbeginn in internationalen Tageszeitungen Abschreckungskampagnen. Deren Tenor: »Kriegsflüchtlinge sind in Dänemark nicht willkommen.« Die finanzielle Unterstützung sei halbiert worden, auch dürften akzeptierte Flüchtlinge das gesamte erste Jahr über keine Familienmitglieder nachholen, steht in den Anzeigen. Zudem müssten die Flüchtlinge Dänisch lernen, um bleiben zu dürfen.
Schweden dagegen hat 2014 81 000 Flüchtlinge aufgenommen. Gerechnet auf die Einwohnerzahl sind das so viele wie in keinem anderen EU-Land. Schweden verteilt lebenslange Aufenthaltsgenehmigungen an Syrer und die Staatsbürgerschaft nach vier Jahren. Auch der Familiennachzug und die Versorgung sind großzügig geregelt.
Dänemark gerät zunehmend unter Druck, weil auch der andere Nachbarstaat - Deutschland - so viele Kriegsflüchtlinge aufnimmt. In dem Land stehen bislang nicht nur die regierenden Rechtsliberalen und die Rechtspopulisten hinter der besonders abweisenden Ausländerpolitik. Auch einige Sozialdemokraten geben sich einwanderungskritisch. Ministerpräsident Rasmussen versuchte am Mittwoch bei einem Treffen mit allen Parteiführern, eine Übereinkunft darüber zu finden, wie mit dem akuten Flüchtlingsstrom aus Syrien umzugehen sei. Die Vorsitzende der Sozialdemokraten, Mette Frederiksen, forderte am Donnerstag, die restriktiven dänischen Einwanderungsgesetze zeitweise außer Kraft zu setzen.
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