Bei den dümmsten Wählern der Welt

Martin Leidenfrost über einen Banker, der eine Milliarde verschob - und trotzdem in Moldawien Bürgermeister wurde

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

»Komm schon«, höre ich die Einwände, »die dümmsten Wähler haben wir bei uns zuhause«. Ok, die Einschätzung ist mir vertraut, aber hört Euch erst einmal das an! Ende 2014 wurde aus drei moldawischen Banken eine knappe Milliarde Dollar entwendet. Das Geld wurde offshore geschickt, weiß der Teufel an wen. Die Milliarde macht ein Siebentel der moldawischen Wirtschaftsleistung aus, und sie fehlt. Die drei Banken wurden notverstaatlicht, dem ärmsten Land Europas droht der Bankrott, EU und IWF zahlen nicht mehr. Mit gehöriger Verspätung erhebt sich das Volk gegen das »proeuropäische« Regime, zumindest in der Hauptstadt gibt es Massendemos und ein Zeltlager.

Im Mittelpunkt der Transaktion steht der Banker Ilan Shor, 28. Geboren in Israel, viel Business in Russland, verheiratet mit dem russischen Popsternchen Jasmin, seine Bodyguards vermöbeln auf den Straßen Moskaus schon mal unliebsame Autofahrer. Kein Moldawier flößt weniger Vertrauen ein. Und jetzt hört her - im Juni wurde Herr »Off-Shor« mit 62 Prozent zum Bürgermeister der Kleinstadt Orhei gewählt.

Ich war schon im Winter in Orhei. Die überbordende moldawische Sangeslust hat auch Orhei eine Karaoke-Bar beschert. Dort sang oft ein schmächtiger Profi, und auch wenn Orhei zu 76 Prozent rumänischsprachig ist, meist auf Russisch. Von einem durchsungenen Lokalrundgang kehrte er mit angeschlagenem Auge zurück. Er tupfte sich ab und sang weitere Gänsehautballaden. Auf Rumänisch: »Melancholie, süße Melodie / melancholia, misterios amor.« Auf Russisch: »Wir sind alle gleich vor Gott, vor der Ikone. / Die bitteren Tränen russischer Mütter.« Auf Rumänisch: »Ich bin erst Mensch, dann Bürger. Bin Moldawier, Russe, Rumäne oder Ukrainer, in Italien, Russland oder Aserbaidschan - ich bin geboren in Moldawien.«

Nach der Wahl fahre ich wieder nach Orhei. Das Wahlversprechen eines flächendeckenden Gratis-WLan-Netzes ist schon gehalten, von der Startseite lächelt echsenhaft der »Bürgermeister-Investor«, Shor. Was Frauen angeht, strandet meine Nachwahlumfrage. Zwei Jungmuttis vor der Kreisbehörde haben keine Zeit, sie skypen auf Russisch. Ich gehe zum Friseur. Zwei junge Friseusen, brünette Kätzchen mit abschätzigem Schlafzimmerblick. Die eine liegt räkelnd-sinnlich-gespreizt auf dem Kundensofa, die andere schneidet mich. Alle schauen ein Familiendrama um einen prügelnden Stiefvater im russischen Staatsfernsehen. Ich bin uninteressant. Auch die Chefin ist maulfaul, sie gibt mir den Preis mit fünf Fingern an.

Ich gehe ins Stadion. Dort begann das Sommermärchen von Orhei, kurz nach der Übernahme durch Shor wurde der lokale Fußballclub moldawischer Meister. Ein eleganter Senior schaut zu, wie seine Enkelin auf dem Dreiradler die Laufbahn pflügt. Er erzählt, dass Shor ein Konzert seiner Gattin und des Superstars Filip Kirkorow spendiert habe. Der Wahlsieg habe ihn schockiert: »Besonders die Jungen sind heute käuflich, die gehen für Süßigkeiten wählen.«

Es sind aber auch die Alten für Shor. Ein Penner, der am Vortag von Halbwüchsigen überfallen wurde, tupft sich die nur teilweise getrocknete Stirnwunde ab: »Shor gibt mir alles.« - »Was hat er Ihnen schon gegeben?« - »Er gibt mir Energie.« Dann ein Rentner, der hinter einem Gitter geschlossene Marktbuden mit Kinderkleidung bewacht, für 27 Eurocent die Stunde: »Von den Milliarden habe ich gehört, aber Shor war nur der Mittelsmann.« - »Der Mittelsmann ist nicht schuld?« - »Hm.« Er reißt die Augen auf, als würde er eine unfassbare Schweinerei erzählen: »Der vorige Bürgermeister hat im Wahlkampf drei Lei für ein Eis verlangt! Shor war gleichzeitig im Stadion, da war das Eis gratis! Mit dem Bier dasselbe!«

Ich ende wieder in der Karaoke-Bar. Der junge Besitzer, der nach wenigen Jahren im Westen schon eine Wohnung in Bukarest besitzt, hat Shor gewählt. »Dass Shor in Orhei investieren wird, das glaube ich nicht. Das weiß ich.« Die gestohlene Milliarde, die gebe es nicht. Ich muss ihn daher nicht mehr nach der höchst spekulativen Theorie fragen, dass die Milliarde als eine Art Schutzgeld in Russland gelandet sei. Der Besitzer singt dann selbst, und auch sein schmächtiger Barde schmachtet wieder. Auf Rus­sisch: »Habe dich geküsst im Feuer der Nacht / Hast mich verlassen im Feuer der Nacht.« Auf Rumänisch: »Ich trinke und warte auf dich, bis in den Morgen.« Auf Russisch: »Möge ihre Seele frei sein im Himmel / mögen sie daunensanft ruhen in russischer Erde.«

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