»Politisch motivierte« neun Monate
Münchner Antifaschist wegen Gemüsekisten und kleiner Fahne verurteilt
Es ist ein Urteil, wie es außerhalb Bayerns (und Sachsens natürlich) eher nicht gefällt wird: Der 24-jährige Paul R. wurde am Dienstag vom Münchner Amtsgericht zu einer Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Er hatte alte Gemüsekisten im Wert von drei Euro entwendet und dabei ein Pfefferspray in der Tasche. Staatsanwalt und Richterin machten daraus einen »Diebstahl mit Waffen«. Und bei einer Demo gegen Pegida hatte der Angeklagte eine kleine Fahne dabei. Das Gericht sah darin eine »Bewaffnung« und somit einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Markus Fischer, nannte das Urteil »falsch« und »politisch motiviert«. Er kündigte Revision an.
Im Mai dieses Jahres war Paul R. mit einem Kumpel über den Zaun eines Rewe-Supermarktes geklettert und hatte aus der Mülltonne abgelaufene Lebensmittel mit geholt. Er war damals bei seiner Mutter ausgezogen und wohnte ohne Geldeinkünfte bei Freunden. Das sogenannte »Containern« - die Nutzung von Lebensmitteln aus dem Müll - entsprach seiner Lebensphilosophie und diente seiner Ernährung. Als die beiden die abgelaufenen Joghurts und anderes mit herumstehenden Plastikkörben abtransportieren wollten, wurden sie von der Polizei festgenommen. Dass die Lebensmittel für den Supermarkt nur mehr Müll waren und die Körbe einen Wert von drei Euro hatten, war dem Staatsanwalt egal: Eigentum ist Eigentum. Und das in einem Bauchbeutel mitgeführte Pfefferspray sei als Waffe zu sehen, auch wenn der Angeklagte betonte, er habe daran gar nicht mehr gedacht. Dann sei das eben »sachgedankliches Mitbewusstsein«.
Nicht um alte Joghurts, sondern um eine kleine Fahne mit einem rund 50 Zentimeter langen Holzstiel - mit »fester Konsistenz«, so der Staatsanwalt - ging es im zweiten Punkt der Anklage. Die trug Paul. R. im Juli bei der Gegendemo gegen den Auftritt von Pegida-Gründer Lutz Bachmann auf dem Münchner Marienplatz. Sein Fehler: Er schwenkte das Fähnchen nicht in der Luft, jedenfalls nicht, als die Polizei zusah. So wurde aus dem kleinen Stöckchen für den Staatsanwalt eine »Waffe«. Die Frage des Rechtsanwaltes, wo man sich denn vor einer Versammlung erkundigen könne, was die Polizei als Waffe ansah und was nicht, wurde vor Gericht nicht beantwortet.
In seinem Schlusswort warf Paul R., der zwei Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, der Polizei vor, sein »politisches Engagement« zu kriminalisieren. Gegen Linke werde wesentlich härter als gegen Nazis vorgegangen, das Verfahren sei ein weiterer Akt der Repression gegen Antifaschisten. Paul R.: »Wenn Rechte hetzen, ist es unsere Aufgabe, dem sich entgegenzustellen.« »Pathetisch« nannte das die Richterin und folgte weitgehend dem Staatsanwalt in seinem Strafmaß.
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