Drei Beamte und drei Fähren
Bis zu 20 000 Asylsuchende kommen von der griechischen Insel Lesbos nicht weg
Noch ein Stückchen Kuchen? Maria Danalatos schaufelt die klebrige, süße Masse auf den Teller. »Wir sind hier wirklich sehr gastfreundlich«, sagt die 72-Jährige, die sich im Tourismusverband der griechischen Insel Lesbos engagiert. Im Garten um sie herum blüht es, hinter dem Zaun gehen Menschen ihres Weges. »Die Flüchtlinge müssen weg«, sagt Danalatos plötzlich resolut. »Wir können nicht mehr.« Hinter dem Zaun ist ein Junge stehen geblieben, die Kleidung schmutzig, das Gesicht erschöpft. »Fuck!«, brüllt Danalatos plötzlich, schüttelt den Kopf, greift die Platte mit dem Kuchen, rennt zum Zaun. »Eltern, wo?«, ruft sie. »Kommt, kommt. Kuchen!«
Die Leute hier auf den griechischen Inseln an der Grenze zur Türkei sind ein eigenartiger Menschenschlag: Sie schimpfen auf die Flüchtlinge und teilen im gleichen Moment das, was sie haben. Das Mitgefühl für das Schicksal der Menschen ist groß und ebenso der Ärger über jene, denen man die Schuld gibt: der Europäischen Union, der griechischen Regierung.
Zwischen 15 000 und 20 000 Migranten halten sich zu jeder Zeit allein auf Lesbos auf, einer Insel mit gerade einmal um die 70 000 Einwohnern. Auf anderen Inseln sieht es ähnlich aus. Chaotisch. Die Flüchtlinge leben heute wie bereits vor Monaten in überfüllten Gebäuden, oft auch einfach auf blankem Asphalt. Der reinen Lehre nach sollen sie hier nur registriert werden, und dann aufs Festland weiter reisen.
Doch das Büro, in dem die Menschen registriert werden, ist eine etwas größere Hütte im Hafen von Mytilini, der Inselhauptstadt. Bislang arbeiteten hier drei Beamte, mittlerweile sollen es einige mehr sein, sagt die Asylbehörde in Athen. Wegen der Sparauflagen dürfe man keine zusätzlichen Leute einstellen. Trotzdem warten auch in dieser Woche Tag für Tag Hunderte vor dem Verschlag. Nur einige Dutzend werden am Abend ihre Papiere in der Hand halten. Ohne die gibt es keinen Platz auf den Fähren, die die Regierung gechartert hat, um Flüchtlinge aufs Festland zu bringen.
Gerade drei Fähren stehen für die lange Überfahrt zur Verfügung und sie müssen mehrere Inseln anlaufen. Die abgelegenen Eilande sind ein Nadelöhr, das nicht sein müsste. Weil ohne gültiges Visum der Weg auf die Fähren aus der Türkei nach Griechenland versperrt bleibt, machen sich die Menschen für viel Geld in Schlauchbooten oder auf abgetakelten Kähnen auf den Weg.
»Wir brauchen gar nicht drum herum zu reden«, hatte ein Offizier der türkischen Polizei Tage zuvor in Ayvalik gesagt, der Stadt gegenüber von Lesbos: »Hier stoßen sich einige Leute an den Flüchtlingen gesund.« Auf seinem Schreibtisch steht das Bild des Polizisten, der den toten Jungen am Strand von Bodrum in den Armen trägt: »Als Mahnung, auch für die Kollegen, die die Flüchtlinge wie Dreck behandeln.« Es kommt immer wieder vor, dass Polizisten Migranten verprügeln. Andere lassen Gruppen aufs offene Meer ziehen, obwohl die Boote offenkundig nicht sicher sind. »Wir haben keine legale Grundlage, die Menschen hier zu halten«, so der Offizier. »Aber wir können, wie müssen dafür sorgen, dass wenigstens ein Mindestmaß an Sicherheit eingehalten wird.«
In der Nacht zum Montag sind gleich zwei Boote untergegangen. Drei Tote hat die griechische Küstenwache vor Lesbos aus dem Meer gezogen; mindestens 30 Leichen wurden in den folgenden Tagen in der Gegend von Kos gefunden. Es ist nicht allein die mangelnde Sicherheit der Boote. Wenn die Schlepper eine Patrouille der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex sehen, zerschneiden sie oft die Schlauchboote. Sie rechnen sich dann bessere Chancen aus, nicht zurück in die Türkei geschickt zu werden. Doch viele Afghanen und Syrer können nicht schwimmen.
»Man weiß, man könnte sterben«, sagt Hafes al-Laham, Vater des Jungen aus dem Garten von Frau Danalatos: »Wenn man dort war, wo wir herkommen, nimmt man jedes Risiko in Kauf.« Zwei Winter habe die syrische Familie in einem Lager an der syrischen Grenze verbracht, »ohne Heizung, ohne irgendwas zu tun; man wartet, dass der Krieg endlich vorbei ist, und verliert irgendwann die Hoffnung«.
Nun sitzt die Familie bei Kaffee und Kuchen. Leila, die Mutter, weist auf arabisch ihren Sohn an, Manieren zu zeigen. Maria Danalatos meint: »Die meisten haben nichts gegen die Menschen. Mich ärgert, dass wir die Last allein tragen sollen.«
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