»Die Fische sind vermarktungsfähig«

Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister möchte die Verseuchung der Peene nicht als Umweltkatastrophe werten

  • Martina Rathke, Anklam
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor zweieinhalb Wochen verendeten Tonnen von Fischen in der Peene. Jetzt machte sich Agrar- und Umweltminister Backhaus vor Ort ein Bild. Von der Zuckerfabrik Anklam forderte er Transparenz.

Überschattet vom massenhaften Fischsterben in der Peene vor zweieinhalb Wochen hat die Anklamer Zuckerfabrik am Mittwoch mit der diesjährigen Rübenverarbeitung begonnen. Das Unternehmen hatte eingestanden, dass aus der Anlage große Mengen Bioethanol über das Rohrsystem in die Peene geflossen waren - die Flusslandschaft Peene ist einer der Naturparks Mecklenburg-Vorpommerns. Agrarminister Till Backhaus (SPD) appellierte an das Unternehmen und den niederländischen Mutterkonzern Suiker Unie, Mängel unverzüglich abzustellen und zur Aufklärung transparent beizutragen. »Die Zuckerfabrik muss alles zum Schutze der Umwelt und des Grundwassers tun. Ansonsten bekommen wir eine Auseinandersetzung, die dazu führt, dass die Zuckerfabrik sich gegebenenfalls selbst aufs Spiel setzt«, sagte Backhaus am Mittwoch bei einem Vorort-Termin in Anklam.

Die Umwelt sieht Backhaus durch die Einleitung von großen Mengen Bioethanol in die Peene nach erster Einschätzung nicht nachhaltig geschädigt. Das Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei hatte Fische untersucht, die vor vier Tagen in dem betroffenen Abschnitt der Peene geangelt wurden. Dabei seien weder bei lebenden noch bei toten Fischen Schwermetalle, Pflanzenschutzmittel oder Rückstände von Ethanol gefunden worden. »Die Fische sind vermarktungsfähig.« Den Bioethanol-Austritt bezeichnete Backhaus als erheblichen Unfall. »Wir haben es aber nicht mit einer Umweltkatastrophe zu tun. Dafür hätte mehr als ein Landkreis betroffen sein müssen«, widersprach er der Grünen-Agrarexpertin Ursel Karlowski.

Nach Angaben von Backhaus wurden von den Behörden nach dem Massensterben 4,4 Tonnen toter Fisch entsorgt. Dazu kämen noch weitere Fische, die von freiwilligen Helfern eingesammelt wurden. Der Chef der Zuckerfabrik, Matthias Sauer, räumte ein, dass aus der Anlage große Mengen Bioethanol über das Rohrsystem in die Regenentwässerung und in die Peene gelangt seien.

»Dieses Ereignis hat uns - ganz unabhängig von der Schuldfrage - unsere große Verantwortung vor Augen geführt«, sagte Sauer. Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen sei nun, wie das Ethanol aus dem System in die öffentliche Entwässerung gelangen konnte und wer dafür verantwortlich sei. Dem Binnenfischereiverband überreichte Sauer einen Scheck von 3000 Euro als ersten Ausgleich für den Schaden.

Nach zwei Rekordernte-Jahren, die die Zuckerfabrik an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht hatten, rechnet das Unternehmen für 2015/2016 mit einer durchschnittlichen Ernte und einer Kampagnedauer von 110 Tagen. 378 Landwirte aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg liefern bis Januar ihre Rüben nach Anklam. Im Gegensatz zu den beiden Vorjahren mit Erträgen von 80 Tonnen je Hektar würden in diesem Jahr 65 bis 70 Tonnen Rüben pro Hektar erwartet, sagte die Geschäftsführerin des Rübenanbauerverbandes, Antje Wulkow.

Der Verband warnte vor einer Diskussion um eine Schließung der Fabrik. Die Zuckerfabrik - als einzige in Mecklenburg-Vorpommern - und die Bioethanolanlage seien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Region. Ohne Bioethanolwerk wäre auch die Zuckerfabrik nicht rentabel. Die Rübenanbauer müssten dann umschwenken auf andere Arten, da Zuckerfabriken außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns keine weiteren Rüben abnehmen würden. »Weniger Rübenanbau bedeutet mehr Monokultur und weniger Artenvielfalt«, sagte Wulkow.

Wie am Mittwoch bekannt wurde, arbeitet bereits seit September 2014 eine mit Vertretern von Fach- und Aufsichtsbehörden besetzte Arbeitsgruppe an der Lösung verschiedener Probleme in der Zuckerfabrik. Demnach musste bei den großen Verarbeitungsmengen in den vergangenen Jahren immer wieder nachgesteuert werden, damit die Anlage »genehmigungskonform« betrieben wird. Als besonders sensibel zeigte sich dabei der Bereich der Abwasserreinigung.

Bei der Staatsanwaltschaft laufen derzeit drei Verfahren, die sich mit der Zuckerfabrik und der dazugehörigen Bioethanolanlage beschäftigen. Eine Gewässerverunreinigung kann mit Haft oder Geldstrafe geahndet werden.

Die Zuckerfabrik kündigte am Mittwoch eine Erweiterung ihrer Anlagen und ein 50 Millionen Euro schweres Investitionsprogramm an. Mit dem geplanten Ausbau der Verarbeitungskapazität um 25 Prozent will die Fabrik auf den Wegfall der Zuckermarktordnung nach 2017 reagieren, wie Firmenchef Sauer sagte.

Die Peene, auch »Amazonas des Nordens« genannt, ist einer der letzten unverbauten Flüsse Deutschlands. Sie erstreckt sich über 85 Kilometer vom Kummerower See bis östlich von Anklam, wo sie in den Peenestrom mündet. Bekannt ist das Peenetal durch seine großen flächendeckenden Fischotter- und Bibervorkommen. Zudem ist die Peene einer der fischartenreichsten Flüsse Deutschlands mit seltenen Arten wie Flussneunauge und Steinbeißer. dpa/nd

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