Upstairs, downstairs, Key good
Man kann nicht nichts tun im »Tatort«, dafür ist im Sonntagskrimi die Zeit zu knapp. Matthias Dell über die Münchner Folge »Die letzte Wiesn«
Wahrscheinlich ist der »Tatort« schon deshalb die ideale Angestelltenerzählung, weil es keinen Urlaub von ihm gibt. Das geht den Figuren auch so, wie in »Die letzte Wiesn« hübsch zu sehen ist (Redaktion für den Bayerischen Rundfunk: Stephanie Heckner). Der Anfang des Films nimmt sich durchaus Zeit zu zeigen, wie der Franz (Udo Wachtveitl) die Stadt verlässt, um dem Oktoberfest zu entfliehen – parallel erzählt zu den Vorbereitungen, die der Ivo (Miro Nemec) trifft, um, wiederum, Besuch zu empfangen (Tanten aus dem Kroatischen).
Es baut sich also eine gewisse Vorfreude auf, unterstützt von keck-hingetupfter Musik (Johannes Brandt/Gerd Baumann), auch wenn die schwedischen Untermieterinnen, denen der Franz seine Wohnung untervermietet, Anlass zur Sorge bieten müssen (und hinten raus nicht enttäuschen, wenn der Franz das eigene Heim schließlich auf links gezogen wiederfindet). Aber just in dem Moment, in dem der Urlaub erreicht ist und der Kommissar im malerischen Süden Malstudien betreibt, ist der Urlaub zu Ende, weil das Telefon klingelt: Man kann nicht nichts tun im »Tatort«, dafür ist die Zeit zu knapp.
Immerhin hat sich »Die letzte Wiesn« etwas überlegt für die Rückholaktion (Buch: Stefan Holtz, Florian Iwersen), eine Erklärung, die über »Die Pflicht ruft« hinausgeht, nämlich dass der Franz auf dem Weg zum Flughafen im U-Bahnhof noch einem derangierten Charakter zu nahe gekommen ist, der danach verstorben, weshalb der Kommissar als Halbverdächtiger fürs Protokoll gefragt ist. Und daraufhin natürlich in München bleibt, um beim Ermitteln zur Hand zu gehen.
Das Verbrechen kommt auf leisen Sohlen in diesem »Tatort«: Es wird betäubt und zwar mit GHB, was vor einem Jahr in einer Ludwigshafener Folge schon mal klugscheißerisch ausbuchstabiert wurde als Gamma-Hydroxybutansäure (»Was, der war mit K.o.-Tropfen betäubt?«).
»Die letzte Wiesn« arrangiert um den unsichtbaren Giftspritzer ein kanonisches Tableau, das von gewisser Schönheit ist. Wenn in den letzten beiden Wochen die Dinge zu früh zu offen lagen, so reizt die Münchner Folge (Regie: Marvin Kren) die Spannung doch weit aus.
Es gibt zwar den Standardversuchsaufbau mit drei Verdächtigen, das Ludwigshafener Modell, wenn man so will. Aber der Film ermittelt die drei Figuren nicht nacheinander aus, sondern hält bis ins letzte Drittel der Folge alle Beteiligten im Spiel – den Oberkellner-Lover vom toten Amperbräu-Wirt, der mit der Witwe nicht kann (Leo Reisinger), die schlecht behandelte alleinerziehende Serviertochter mit Brass auf die Witwe (Mavie Hörbiger) und den gefühllosen Außenseiter, der nicht gelernt hat, wie man Empathie buchstabiert (Julius Feldmeier).
Der Film ist schick-impressionistisch fotografiert (Kamera: Moritz Schultheiß, 2nd Unit: Jan-Marcello Kahl), mit einem Sinn für die Stimmungshaftigkeit, die den Bilderverkehr in den sozialen Netzwerken antreibt. Wenn man sich einmal anschaut, wie statisch und detaillistisch der »Tatort« in älteren Ausgaben auf Massenbierzeltfeste geschaut hat (»A gmahde Wiesn« von 2007 mit Batic und Leitmayr, »Bier vom Fass« mit dem großen Horst Bollmann als Kommissar Brandenburg von 1989), dann weiß man, was sich geändert hat. Für das Oktoberfest als globales Feierevent gilt das freilich auch.
Die Volksfestdekoration verschafft dem »Tatort« Raum, der hier zuerst für die Schauspielerinnen da ist. So steigert sich Mavie Hörbiger unmerklich in einen fast bühnenhaft-verdichteten Monolog, indem sie dem sanft anklampferten Leitmayr mit die Sorgen ihrer Existenz ausmalt.
Hauptattraktion aber ist Gisela Schneeberger. Mit umständlicher Goldrand-Brille und machtvoller Fönfrisur gibt sie die gehörnte Amperbräu-Wirt-Witwe, die den Laden zusammenhalten muss, eine Figur, die so feinsinnig-entschieden in die Schönheiten des bairischen Anscheißertums vordringt (»Obacht, ge’, das ist gaanz dünnes Eis«), als käme sie gerade aus einem Bühnenprogramm mit Gerhard Polt. So gekonnt auf der Grenze zur Parodie zu balancieren, ohne sie je zu überschreiten, können vermutlich nicht viele.
Eine Bemerkung, mit der das nächste Mitarbeitgespräch mit der Chefin eröffnen sollte:
»Und ich hab gedacht, ich hab 'nen Scheißjob.«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Ich hab sie nicht um ihre Hilfe gebeten.«
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