Frankfurt (Oder) stemmt sich gegen Einkreisung
Die Stadt hält nichts von der geplanten Verwaltungsreform. Der Innenminister trat ins Fettnäpfchen
»Davon geht die Stadt nicht unter«, sagt Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Er hält das für ein Argument für die vorgesehene Einkreisung der bislang kreisfreien Stadt Frankfurt (Oder). So bestechend findet er es, dass er noch eins draufsetzt: »Das ist kein Weltuntergang für Frankfurt.« Selbst Marsianer, kämen sie auf die Erde, würden den Unterschied gar nicht wahrnehmen. Und auch die Bürger würden es nicht merken, gibt er sich an jenem Abend letzte Woche vor 500 Frankfurtern im Kleist Forum überzeugt.
Überhaupt hält der Minister seine Geburtsstadt für unattraktiv, so sehr, dass sie sogar Kriegsflüchtlinge, wenn sie dürften, umgehend verlassen würden. Für diesen Fehltritt erntet der Innenminister bei der Veranstaltung zum ersten Mal Buhrufe. Oberbürgermeister Martin Wilke verliert für einen Augenblick die Contenance: »Du bist zwar in Frankfurt geboren«, wendet er sich an Schröter. »Aber dein Herz schlägt hier definitiv nicht.« Eine andere Frankfurterin, die in der Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung Asylsuchende an die deutsche Sprache heranführt, sagt später: »Das macht mich richtig wütend. Mich fragen Flüchtlinge, was sie tun können, um in Frankfurt bleiben zu können, weil sie hier erleben, dass Menschen sich um sie kümmern.«
Auf nüchterne Fragen haben die Abgesandten der Landesregierung jedenfalls keine überzeugenden Antworten. Ihre Formel lautet: Verwaltungskosten bei schrumpfender Bevölkerung durch Zentralisation auffangen, Landesaufgaben an die Kreise auslagern, Verteilungskonflikte auf untere Ebenen abwälzen. Ob dieses Modell funktioniert, können weder Karl-Heinz Schröter noch Finanzstaatssekretärin Daniela Trochowski (LINKE) beweisen. »Was verliert Frankfurt denn an Attraktivität«, fragt Trochowski. Sie weiß es nicht, aber die Frankfurter wissen es auch nicht. Die Kreisgebietsreform von 1993 zu evaluieren, nachzurechnen, wo und wie weit Absichten und Wirkungen in Einklang stehen - diese Mühe hat sich die Landesregierung nie gemacht.
Sie wird ihre Gründe gehabt haben, denken viele Bürger misstrauisch. Die verwaltungstechnischen Experimente in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sind ihnen eine Warnung. Görlitz stöhnt, Greifswald stöhnt. Gestiegene Verschuldung, verschwundene Arbeitsplätze. Nicht ohne Grund stehen an diesem Abend die Stadtoberhäupter von Brandenburg/Havel, Cottbus und auch Frankfurts polnischer Nachbarstadt Slubice sowie der Städte- und Gemeindebundes dem Oberbürgermeister Martin Wilke zur Seite. »Ich frage mich, wer überhaupt hinter dem Leitbildentwurf des Landes steht«, sagt Wilke.
Über Entwicklung sagt das Papier jedenfalls nichts aus, auch das Wort Wachstumskern kommt darin nicht vor. Die wirtschaftlich-soziale Verelendung außerhalb des Berliner Speckgürtels wird auf ein demografisches Problem reduziert. »Wir brauchen Wertschöpfung, wir brauchen ein wirtschaftliches Fundament für die Stadtentwicklung und wir brauchen Handlungsspielraum, um unser Ziel einer europäischen Doppelstadt mit Slubice zu realisieren«, hält Wilke dem Land vor.
Diesen Spielraum solle die Stadt um den Preis eines vagen Versprechens von »mehr Geld für freiwillige Aufgaben« und einer fünfzigprozentigen Teilentschuldung verlieren. »Wenn ihr den Städten wirklich helfen wollt«, sagt Wilke, »dann macht die Teilentschuldung doch einfach. Was hat das mit den Kreisen zu tun?«
Auch so eine Frage, auf die Karl-Heinz Schröter keine Antwort weiß. Er fürchtet, die Verschuldung der Stadt setzt sich fort, verfügt aber nicht über eine Analyse der Gründe. Statistisch, rechnet Wilke ihm vor, arbeite Frankfurts Verwaltung effektiver als die der Landkreise im Durchschnitt. Im Übrigen sei jede fünfte deutsche Kreisstadt kleiner als Frankfurt. »Solch eine Reform muss scheitern«, sagt er voraus.
Was die Reform kosten soll, vermögen weder der Minister noch die Staatssekretärin zu sagen. Aber: Wenigstens 175 000 Einwohner auf maximal 5000 Quadratkilometern - das wären akzeptable Landkreise. Falls die Finanzierung nicht stimmt, könnten die Landkreise ja vor dem Landesverfassungsgericht klagen.
»Wir haben uns der negativen wirtschaftlichen Entwicklung immer wieder entgegengestellt, auch mit Unterstützung des Landes«, sagt Ex-Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU), auch ein Frankfurter. »Wir erwarten Unterstützung vom Land. Die Städte sind Identifikationspunkte für ganz Brandenburg. Wenn man der Architektur des Landes Farbe geben will, muss man daran anknüpfen.«
An der Oder ist Schröter keinen Schritt vorangekommen. Seine Flüchtlingspolemik hat der Landtagsabgeordnete René Wilke (LINKE) zum Anlass für eine kleinen Anfrage an die Regierung genommen: Ist dies tatsächlich das Bild, das die Regierung von Frankfurt (Oder) hat?
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.