Hochzeit mit neun, Vater mit zwölf
Nepalesische Eltern zwingen Jungen im frühen Kindesalter in die Ehe
Hochzeiten sollen ein romantisches Fest für das Leben sein. Auch Parshuram Harijan wird seine erste Hochzeit sein Leben lang nicht vergessen. Weil sie ein Albtraum war. Vor Aufregung machte sich der Nepalese in seinen Dhoti, dem traditionellen Beinkleid nepalesischer Männer. Er schämte sich wegen der Schande, die er seiner Familie damit bereitete. Parshuram war bei der Hochzeit gerade mal neun Jahre alt.
Üblicherweise sind es in Nepal, Indien, Bangladesch und anderswo junge Mädchen, die von ihren Eltern zu Ehen mit älteren Männern gezwungen werden. In Kapilbastu und anderen Distrikten in Westnepal aber müssen auch Jungen wie Parshuram Harijan Kinderehen eingehen.
Nach der Hochzeit wurden Parshuram und seine Gattin zunächst wieder getrennt. Drei Jahre später mussten sie zusammenziehen, einen Haushalt gründen und tunlichst schnell ein Kind zeugen. Im Alter von zwölf Jahren. »Ich war weder mental noch körperlich dazu fähig«, erinnert sich Parshuram Harijan. Die Ehe war zu Ende. Wieder hatte er »Schande« über seine Familie gebracht.
Das Ausmaß der Kinderehen in Nepal hat der Report »Zu früh ein Vater: Kinderbräutigame in Nepal« der Hilfsorganisation Care offenbart. Im Westen Nepals sind demnach zwölf Prozent aller Jungen spätestens im Alter von 14 Jahren verheiratet. Bei den Mädchen sind es 26 Prozent. Nepal ist eines von nur acht Ländern weltweit, in denen junge Männer vor dem 18. Lebensjahr, dem Mindestalter für Eheschließungen, zur Heirat gezwungen werden.
Ursache ist laut Care die Armut vieler Familien, von denen die meisten zu den Dalit, den Unberührbaren im Kastensystem des hinduistischen Nepal, gehören. Für ihr Überleben seien sie auf ein paar Nutztiere als Mitgift und die Schwiegertochter als Arbeitskraft angewiesen. Die Familien der Mädchen wiederum seien daran interessiert, so schnell wie möglich einen Esser loszuwerden. Und so billig wie möglich. Die Mitgift für ein junges Mädchen ist niedriger als für eine junge Frau.
Rund zwei Millionen junge nepalesische Männer arbeiten zudem in Indien, Malaysia und in arabischen Golfstaaten. Nach Ansicht der Familien stellt die Ehe eine Art Versicherung dar, dass die Männer ihren Lohn wirklich nach Hause schicken.
Die religiöse Untermauerung für Kinderehen liefern hinduistische Priester mit der größten Liebesgeschichte der hinduistischen Mythologie: Gott Ram heiratet im zarten Alter von 14 Jahren seine große Liebe, die elfjährige Sita.
Das Leben der Kinderehepaare ist für immer verpfuscht. Das hat Pannilal Yadav leidvoll erfahren. Er war acht, als er die siebenjährige Rajkumari heiraten musste. Als er vierzehn war zog Rajkumari bei ihm und seiner Familie ein. Kurze Zeit später kam ihr erstes Kind zur Welt. Um seine Familie zu ernähren brach Pannilal, ein Schüler mit guten Noten, die Schule ab. »Vor kurzem habe ich einen Schulfreund wiedergetroffen«, erzählt Pannilal. »Er ist Ingenieur. Als er mir das sagte, wurde ich traurig und ich schämte mich. Wie gerne wäre ich weiter zur Schule gegangen. Wenn unsere Eltern uns nicht so jung verheiratet hätten, wäre unser Leben anders verlaufen.«
Die Einsicht, dass Kinderehen die Betroffenen noch tiefer in die Armut treiben, schädlich für die Gesundheit und eine traumatische Erfahrung sind sowie Ambitionen und Träume zerstören, hat Pannilal zum Streiter gegen Kinderehen werden lassen. Der heute 25-Jährige arbeitet für das Projekt Tipping Point, mit dem CARE in Nepal die Ursache für Kinderehe angeht. Pannilal und Rajkumari sind immer noch zusammen, haben sich über die Jahre lieben und schätzen gelernt und sind stolze Eltern von vier Kindern. »Meine Frau hat mir mal gesagt‚ es wäre schön gewesen, wenn ich dich in einem Alter hätte heiraten können, in dem ich wirklich verstanden hätte, was Ehe bedeutet«, erzählt Pannilal.
Parshuram Harijan musste nach dem abrupten Ende seiner ersten Ehe im Alter von 14 Jahren wieder heiraten. Auch Parshuram, 31, will nepalesische Kinder davor bewahren, Opfer des gleichen Schicksals wie er zu werden. Unermüdlich klärt er auf, spricht mit Kindern, Eltern, Großeltern, Lehrern und Vertretern von Religionen über die verheerenden Konsequenzen von Kinderehen auf das Leben der Betroffenen. Mittlerweile ist Parshuram Vater von drei Kindern. Seine Frau Mayadevi arbeitet als Vorschullehrerin. Beide sind davon überzeugt, dass eine Schul- und Berufsausbildung der Kinder Vorrang hat. Dann kann eine große, festliche nepalesische Hochzeit gefeiert werden. Mayadevi betont: »Wir wollen unseren Kindern nicht durch eine frühe Ehe die Zukunft verbauen.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.