Ein Meisterstück der europäischen Antifa?!

Zum Urteil gegen Bernd Langer, der einen Brandanschlag vor 20 Jahren als »Spitzenaktion« bezeichnet hat

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 4 Min.
Ende der 70er Jahre gab es einen ähnlichen Prozess gegen Geschäftsführer des linken Trikont-Verlages. Sie wurden am Ende vom Bundesgerichtshof freigesprochen.
In Bewegung – Ein Meisterstück der europäischen Antifa?!

Im Oktober 1975 stellte der Münchener Trikont-Verlag das von Harun Farocki auf der Basis eines längeren Interviews mit dem polizeilich gesuchten Michael (Bommi) Baumann verfasste Buch »Wie alles anfing« auf der Frankfurter Buchmesse vor. Farocki und Baumann kannten sich aus der Westberliner Revolte, Baumann war ein Mitbewohner der Wielandkommune, Farocki war an der in der Kommune Grunewaldstraße 88 beheimateten Dritten Redaktion der Westberliner Underground-Redaktion der Agit 883 mit dem Untertitel »Kampf Blatt der Kommunistischen Rebellen« beteiligt.

Farocki verfertigte einige Mitteilungen und Erfahrungen von Baumann zu einem teilweise bebilderten Report über die Entwicklung vom Westberliner Underground zur Stadtguerillagruppe »Bewegung 2. Juni«. Irgendwo dazwischen hatte auch Baumann mitgemischt und so überlieferte Farocki bereits in seinem Vorwort von seinem Protagonisten die deutliche Markierung, dass dieser keineswegs »über Nacht zum
Pazifisten« geworden sei. Mehr noch: Beiden war es ein Anliegen mit diesem Buch von der gerade wenige Monate zurückliegenden »großartigen Lorenz-Entführung, (als) einem wirklichen Meisterstück der europäischen Stadtguerilla« zu sprechen. Und so weiter und sofort. Der von Farocki komponierte Text dieses Buches ist facettenreich und an anderen Stellen lässt er seinen Protagonisten auch die Frage nach »Terror oder Liebe« aufwerfen. Kurz: Es gibt nicht wenige Passagen in dem Buch, bei denen man den Eindruck bekommt, dass Baumann nicht mehr so viel mit »revolutionärer Praxis« und dafür mehr mit »Liebe« zu tun haben wollte.


Den Sicherheitsbehörden gefiel dieses Werk trotzdem überhaupt nicht und so wurden noch im November 1976 im ganzen Bundesgebiet Beschlagnahme Aktionen nach § 140 wegen der Billigung von Gewalt durchführt. Das Buch sollte aus dem Verkehr gezogen werden. Die beiden Geschäftsführer
des Trikont-Verlages Herbert Röttgen und Gisela Erler wurden wegen dieses Paragraphen angeklagt. Damit waren aber mehrere hundert Aktivisten aus dem Umfeld der neuen Linken von Wolfgang Abendroth bis
Gerhard Zwerenz überhaupt nicht einverstanden und so gaben sie das Buch noch im Sommer 1976 in einer Gemeinschaftsaufgabe wieder heraus. In ihrer Erklärung hoben sie hervor, dass es sich um eine »autobiografische Darstellung eines jugendlichen Arbeiters, der unmittelbar an der Entstehung gewaltsamer Aktionen beteiligt war« handele. Eben diese Darstellung könne nicht »dadurch aus der Welt geschafft werden, dass eine öffentliche Diskussion darüber verhindert« wird. Wenn nun die Justiz versuche, »diejenigen zu isolieren und zu kriminalisieren, die die öffentliche Diskussion über Baumanns Geschichte durch ihre Publikation einleiten wollten, stellt das ein klare Einschränkung der in unserer Verfassung garantierten freien Meinungsäußerung dar.« Auch von dem konservativen Journalisten Jürgen Busche wurde in einer Besprechung die anschauliche und eindrucksvolle Schilderung sowie der »dokumentarische Rang« des von Farocki verfassten Werkes hervorgehoben. Eben das gelte, auch wenn der Verfasser weit von den »Idealen des Grundgesetzes entfernt« formuliert habe.


Zunächst wurden die beiden Geschäftsführer des Trikont-Verlages von einer Strafkammer des Landgerichts München u.a. mit der Begründung freigesprochen , dass das unter dem Namen Bommi Baumann publizierte Werk eigentlich dazu rate, von »sinnloser Gewalt Abstand zu nehmen«. Das besagte Buch könne sogar »Denkanstöße für Gesinnungsgenossen geben, die immer noch radikal seien« referierte hier ein Zeitungsbericht. Eben dieses Urteil wurde dann durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aufgehoben, Erler und Röttgen dann zu einer Geldstrafe verurteilt. Am Ende hob der BGH dann auch diese Entscheidung noch einmal auf und die beiden Geschäftsführer wurden schließlich im Oktober 1978 rechtskräftig freigesprochen.


Nun wurde der Antifaschist Bernd Langer für seine Interpretation einer vielen Zeitgenossen im Dezember des Jahres 1994 als »großartig« erscheinenden Aktion gegen die Druckerei der Zeitung »Junge Freiheit« von einem jungen Richter des Amtsgerichtes Tiergarten verurteilt. Wer das vom Amtsrichter vollständig verlesene Interview aus dem »neuen deutschland« mit seinen anschaulichen und eindrucksvollen Schilderungen vorurteilslos zur Kenntnis zu nehmen bereit ist, der kann darin allemal Hinweise dazu finden von »sinnloser Gewalt Abstand zu nehmen«, es gibt sogar trotz einiger Ressentiments gegen »gemeine« Autonome »Denkanstöße für Gesinnungsgenossen«, die immer noch radikal sind.

Was für eine Welt: Die Lorenz-Entführung durfte man schon ein Jahr später als ein »wirkliches Meisterstück der europäischen Stadtguerilla« benennen, das Abfackeln einer Druckerei für neofaschistisches Gedankengut soll aber 20 Jahre danach nicht als eine »Superaktion«, sprich als ein wirkliches Meisterstück der europäischen Antifa bezeichnet werden dürfen. Das ist allerdings nicht nur zutiefst ungerecht, sondern auch ein fundamentaler Angriff gegen die Reflexionsfreiheit, auf die emanzipatorische Bewegungen zum Zwecke ihrer Selbstkonstitution und Weitentwicklung allerdings angewiesen sind.

Folgen wir doch für das Berufungsverfahren in dieser Sache der Einsicht des Rechtsvertreters der Angeklagten im Trikont-Prozess. Jürgen Arnold resümierte diese exemplarische Auseinandersetzung mit der Staatsmacht um das Buch »Wie alles anfing« mit dem Hinweis, dass es wohl letztlich der von vielen unterstützte »Akt der Neuherausgabe des Buches« gewesen sei, der »mehr zu dem günstigen Ausgang des Prozesses beigetragen (habe) als es die Argumentation von Gutachtern und Verteidigern jemals hätte
bewirken können.«

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