Nepal erkämpft neue Verfassung
Kompromiss ist Ergebnis eines 70-jährigen Kampfes / Zumindest die drei größten Parteien stimmen zu
Mit einer neuen Verfassung krönt Nepal einen jahrzehntelangen Kampf um die grundsätzliche Gleichberechtigung aller Bevölkerungsgruppen und gegen teils noch immer halbfeudale Strukturen. Nepal hat seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gleich drei breite Volkserhebungen als sogenannte demokratische Revolutionen sowie 1996 bis 2006 einen zehnjährigen Bürgerkrieg mit vielen Opfern erlebt. Nun schrieb der Himalaya-Staat abermals Geschichte.
Das entscheidende Votum fiel zur Monatsmitte in der Verfassunggebenden Versammlung, die zugleich als Interimsparlament wirkt. Es hätte deutlicher kaum ausfallen können. 507 von 532 anwesenden Vertretern stimmten für das Papier, weit mehr als die notwendige Zweidrittelmehrheit. Lediglich die Abgeordneten der konservativen, faktisch noch immer monarchistisch eingestellten RPP votierten geschlossen mit Nein. Insbesondere, weil sie sich mit ihrer Kernforderung nicht durchzusetzen konnten, doch noch den Hinduismus als Staatsreligion zu verankern.
Die Festschreibung der säkularen Ausrichtung des Staates hat nun offiziell Verfassungsrang - ein weiterer Meilenstein nach der Entmachtung des Königshauses und der Umwandlung der früheren hinduistischen Erbmonarchie in eine Republik. Die wurde von den einstigen maoistischen Untergrundkämpfern und der damaligen Sieben-Parteien-Allianz noch nach dem Ende des Bürgerkriegs in der Umbruchphase 2006 bis 2008 durchgesetzt.
Mit der darauffolgenden Wahl der ersten Verfassunggebenden Versammlung, deren Mandat mehrfach bis 2013 verlängert werden musste, waren die Gemeinsamkeiten dann aber schon zu einem guten Teil aufgebraucht. Nahezu sieben Jahre erlebte Nepal einen Dauerstreit gerade der drei größten Parteien. Das Land wurde gelähmt, der Verfassungsprozess zeitweise nahezu zum Erliegen gebracht.
Das hatte zwischenzeitlich auch eine Spaltung der von der Guerilla wieder zur politischen Partei umformierten Maoisten zur Folge. Der »gemäßigte« Mehrheitsflügel mit dem Namen Vereinte Kommunistische Partei Nepals-Maoistisch (UCPN-M) unter Pushpa Kamal Dahal und Baburam Bhattarei sprang in der Schlussphase des Ringens um die einzelnen Artikel des neuen Grundgesetzes aber mehrfach über ihren eigenen Schatten. Das gilt ebenso für die Vertreter des sozialliberalen Nepali Congress (NC) von Premier Sushil Koirala und der Kommunistischen Partei Nepals/Vereinigte Marxisten-Leninisten (CPN-UML). Aus den Reihen der UML stammt denn auch der Mann, der es mit seinem diplomatischen Geschick am Ende doch noch vermochte, die »großen Drei« zusammenzubringen. Subash Chandra Nembang, neben seiner Politikerkarriere auch früherer Chef der nepalesischen Juristenvereinigung, war als Vorsitzender der Verfassunggebenden Versammlung in jüngerer Vergangenheit sicher öfter kurz vor dem Verzweifeln. Gerade er, immerhin ohne Gegenkandidat ins Amt gewählt, darf sich den erzielten Kompromiss auch als persönlichen Erfolg anrechnen.
So etwas hat es in Nepal nie zuvor gegeben: ein säkulares, erstmals als föderales Gebilde von sieben Provinzen angelegtes Staatswesen mit grundsätzlich gleichen Rechten für alle seine Bewohner. Vieles ist aber in den progressiven Weichenstellungen eher allgemein enthalten. Dass der gesellschaftliche Umbau noch wesentlich länger braucht als das Verfassungspapier, das im letzten formellen Schritt noch von den Abgeordneten zu unterzeichnen war, ist auch NC, UML und UCPN-M ungeachtet allen Jubels klar - selbst wenn das Dokument als historisch gepriesen wird.
Gerade die Madhesi-Parteien flüchteten sich zuletzt in einen Boykott. Die Verfassunggebende Versammlung zählt 598 Mitglieder, mehr als 60 blieben aber der letzten Abstimmung fern. Fast alle davon gehören zu den Gruppen, die den wichtigsten Bevölkerungsteil der Tieflandgebiete im Süden an der Grenze zu Indien vertreten. Die auch untereinander noch heftig zerstrittenen Madhesi-Parteien haben sich bei Zuschnitt und konkreten Befugnissen der Provinzen aber selbst mit Hilfe massiver Straßenproteste nicht durchsetzen können. Sie werden ihren Widerstand nun keineswegs einfach beenden. Das wissen auch die »großen Drei«. Als Dialogangebot soll die genaue Grenzziehung der neuen föderalen Einheiten erst in nächster Zeit durch eine Kommission vorgenommen werden. Unklar bleibt, wie weit die einzelnen Gruppen der Protestfront dort zur Mitarbeit bereit sind.
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