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Matthias Dell über Teil 1 von »Wendemanöver«, der Zusammenführung von Magdeburger und Rostocker »Polizeiruf: 110«

  • Matthias Dell
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Vereinigung von zwei ARD-Sonntagabendkrimis in einer Doppelfolge ist zuerst eine logistische Herausforderung. Es sagen sich ja nicht nur zwei Kommissare »Guten Tag«, wie es in der von wechselseitigen Kurzauftritten geprägten Anfangsdekade des »Tatort« üblich war. Es müssen vielmehr zwei Teams ineinander choreographiert werden, weil neben dem kanonischen Ermittlerduo heutzutage Vorgesetztenwelt und Assistentenlager Dialog abzubekommen haben.

Für den ersten Teil von »Wendemanöver«, der Zusammenführung von Magdeburger und Rostocker »Polizeiruf: 110« (Redaktion: Daniela Mussgiller, NDR, und Wolfgang Voigt, MDR), bedeutet das an Leuten, die mit Namen angesprochen werden wollen: vier in Magdeburg (auch wenn Ihnen jetzt maximal Claudia Michelsens »Marion« Brasch und Sylvester Groths »Heiko« Drexler einfallen) und fünf in Rostock (Chief Roeder, Bukoff, Frau König, Pöschi und Everybody’s Volker). Was vielleicht auch ein Grund ist, warum in Rostock weniger Figuren auf dem Brett stehen als gewöhnlich: Chief Roeder (der große Uwe Preuss) ist im Urlaub und Bukoff (Charly Hübner) muss nach dem letzten, irgendwie schon auch eifersuchtsbedingten Anschuss des Volker-Kollegen zur Therapie.

Weshalb, ein interessantes hierarchietechnisches Detail, nun »Averell« Pöschi (Andreas Guenther) als Chef firmiert - und auch wenn wir selbstverständlich für den mindestens gleichberechtigten Everybody’s Volker (Josef Heynert) votiert hätten, macht diese Rolle (die in Wahrheit von der LKA-Frau König ausgeübt wird) eben wegen des Posertums des Charakters Sinn. Zu den besten Momenten gehören neben den überzogen-sinnlosen Anscheißerperformances (»Gebt 115 Prozent«) daher das gockelige Hemd-in-die-Hose-Gestecke, Über-den-Bauchgestreiche und Brustgestraffe, weil die den tollpatschigen Drang nach Höherem der Pöschi-Figur so hübsch ausdrücken.

Solche Details sind unbedingt Erkenntnisse, die »Wendemanöver« beschert, zeigt sich doch im direkten Kontrast, wie unterschiedlich gut die beiden Schauplätze präpariert sind: Während einem die Rostocker Figuren vertraut sind, klingt der Name des Magdeburger Assistenten (Mautz, gespielt von Steve Windolf) so, als ob man ihn zum ersten Mal hörte. Wo in Rostock die Geschichten folgenübergreifend weitergehen, bekommt in Magdeburg Jochen »Heiko« Drexler erstmals Tiefe zugesprochen; dass es zugleich das letzte Mal ist, weil Sylvester Groth nach »Wendemanöver« aus der Reihe ausscheidet, beschreibt das Magdeburger Problem ganz gut. Tiefe heißt hier übrigens: Drexler hat was mit einem Ex-Kollegen, mit dem er früher schon was hatte, und wenn auch der Sex vergleichsweise unverschämt angedeutet wird (Regie: Eoin Moore), so kommt diese Form der »Auflösung« von Drexlers von Beginn an gesetzter Miesepetrigkeit (Kollegin Brasch: »Schräg drauf isser immer, heute isser seltsam«) doch etwas merkwürdig: Dass Homosexualität zu sozial deviantem Verhalten führt, ist doch eher so 19. Jahrhundert als das, was man heute über Sexualität weiß.

Die Vereinigung von zwei ARD-Sonntagabendkrimis in einer Doppelfolge verheißt immer auch politischen Anspruch. Angefangen mit Schimanski/Thanner plus Fuchs/Grawe wurden in solchen Aktionen immer Ost- und West-Teams miteinander verbunden (Leipzig und Köln, zweimal). Wenn nun zweimal Osten gemeinsam ermittelt im Ost-Sonntagabendkrimi-Format, dann bedeutet das einiges an Identitätsbuilding: Es geht, im weitesten Sinn, um Vereinigungskriminalität (Treuhand, Subventionen, Pipapo), die zwischen alten Schauspielerdarlings (der große Jörg Gudzuhn, der nicht minder große Michael Kind) und neuen Sendegebietsverkörperern (Peter Schneider und Thomas Fränzel, der als linksradikaler Demonstrant einen großen Wessi-Monolog hat) ausagiert wird.

Erzählerisch (Drehbuch: Regisseur Moore mit Anika Wangard, nach der im Film eine psychotherapeutische Praxis heißt; nach einer Vorlage von Thomas Kirchner) ist im ersten Teil von »Wendemanöver« viel Klein-Klein, weil beide Schauplätze an ihrem eigenen Toten ermitteln. Erst nach 40 Minuten erfolgt der Erstkontakt, der, damit es nicht zu langweilig wird, am Anfang als Vorgucker vorangestellt wird, nach 70 Minuten die Zusammenführung. Wie es ausgeht, zeigt sich nächste Woche.

Eine Frage, die in Bankerkreisen Karriere machen könnte:
»Gott, nochmal, wer ist denn hier zuständig?«

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Ich mach doch nicht eure Arbeit.«

Eine Erklärung, die immer überzeugt:
»Das waren übrigens linke Demonstranten.«

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