Labours Werte sollen in die Politik zurück
Kein Beifall für alles - Parteitagsrede des neuen Vorsitzenden Jeremy Corbyn
Corbyn ist nun zwei Wochen im Amt. Seinen Wahlerfolg verdankt er Hunderttausenden Menschen, die sich am Wahlprozess beteiligten. Er selbst hatte nicht damit gerechnet, als er seine Kandidatur bekanntgab. Es war mehr ein Gefühl der Pflichterfüllung dem kleinen Häuflein verbliebener linker Abgeordneten und den Gewerkschaften gegenüber, deren Anliegen Corbyn die vergangenen Jahrzehnte konsequent vertreten hatte.
Corbyns erste Maßnahme als Parteivorsitzender war die Teilnahme an einer Demonstration für Flüchtlinge. Die zweite war die Stimmabgabe gegen einen Gesetzesentwurf im britischen Unterhaus, durch den gewerkschaftliche Rechte massiv eingeschränkt werden sollen. Corbyn tritt für die Abschaffung der britischen Nuklearwaffen und ein Ende der Sparpolitik ein. Der konservative Premierminister David Cameron bezeichnete ihn deshalb als Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes. Ein anonym bleibender General drohte mit »direkten Aktionen« des Militärs im Falle einer Corbyn-Regierung.
»Du musst moderater werden« ist ein gut gemeinter Ratschlag, der an Corbyn nun aus allen Richtungen herangetragen wird. Vor allem kommen diese Stimmen aus seiner eigenen Partei, teilweise aus seinem eigenen Schattenkabinett. Denn Corbyns Erfolg wird innerhalb des Parteiapparates und innerhalb der Parlamentsfraktion als Niederlage gesehen. Dort fühlt man sich von der Welle der Unterstützung für Corbyn aus der Bevölkerung überrumpelt.
Das geht bis in die Gewerkschaftsspitzen hinein. Beispiel UNITE, die größte Arbeitergewerkschaft Großbritanniens. Sie gilt als die größte finanzielle Unterstützerin der Labour-Partei. UNITE hat auch über die neoliberalen Tony Blair und Gordon Brown Jahre immer zu Labour gehalten. Traditionell unterstützt man dort moderate Kandidaten für den Parteivorsitz. Der ursprüngliche Favorit von UNITE bei den jüngsten Wahlen war der Corbyn-Konkurrent Andy Burnham, ein Befürworter von Krankenhausprivatisierungen.
Doch die UNITE-Mitgliedschaft wollte anders. Beim Vorstand sah man sich schließlich dazu gezwungen, Corbyn offiziell im parteiinternen Wahlkampf zu unterstützen. Man fürchtete, dass sich große Teile der Mitgliedschaft weiter links stehenden politischen Formationen außerhalb der Partei zuwenden würden.
Zwischen Corbyn und der UNITE-Führung gibt es diverse politische Unterschiede. Diese waren auch auf dem Parteitag zu bemerken. So wollte Corbyn über die Position der Labour-Partei zum Atomwaffenprogramm diskutieren lassen. Doch die Mehrheit der Delegierten stimmte am Sonntag dagegen - mit den Stimmen der großen britischen Gewerkschaften.
Dabei hat Labour seit Jahrzehnten nicht mehr so eine gewerkschaftsfreundliche Doppelspitze gehabt wie jetzt mit Corbyn und seinem Schattenfinanzminister John McDonnell, der zu seinen jahrzehntelangen Weggefährten gehört. Beispiel Redcar. Das ist eine Stahlfabrik in Nordostengland. Den Besitzern ist sie nicht mehr profitabel genug. Deshalb soll sie jetzt geschlossen werden. 1700 Menschen verlieren ihren Job.
In seiner Parteitagsrede griff Corbyn eine wesentliche Forderung der Beschäftigten auf und forderte eine Regierungsintervention zur Rettung der Arbeitsplätze. Dafür erhielt er frenetischen Beifall. Allerdings konkretisierte er nicht, welchen Charakter diese Intervention haben soll. Er vermied den Begriff Verstaatlichung.
Das ist auch im Energiesektor der Fall. Schattenenergieminiserin Lisa Nandy kündigte eine »Demokratisierung« des Strom- und Gassektors an. Damit ist nicht die Entprivatisierung der großen Energiekonzerne gemeint. Vielmehr sollen Gemeinden Gelder zum Bau und Betrieb kooperativer, ökologischer Kraftwerke bekommen.
Unter Corbyn präsentiert sich die Labour-Partei wieder als eine sozialdemokratische Kraft. Vorerst. Ob das so bleibt ist auch davon abhängig, ob Corbyn in den kommenden Monaten auf Unterstützung von den Graswurzeln zählen kann. In seiner Rede appellierte er an sie, bezog aber auch alle anderen Labour-Mitglieder ein und rief sie zum Handeln auf: »Akzeptiert keine Ungerechtigkeit, steht auf gegen Vorurteile. Lasst uns eine freundlichere Politik machen, eine die sich mehr um die Gesellschaft kümmert. Lasst uns unsere Werte, die Werte der Menschen, zurück in die Politik bringen.«
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