Wenn nur einer glücklich war

Ein Boule-Turnier in Berlin führte neue und ehemalige Flüchtlinge zusammen

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 5 Min.
1977 floh die Familie Ramadan mit ihrem einährigen Sohn Kida aus dem Libanon nach Berlin. Hier machte Kida Ramadan als Schauspieler Karriere. Heute engagiert er sich für neu angekommene Flüchtlinge.

Nicht zum ersten Mal engagieren sich die Mitglieder des bck, Freunde des französischen Freizeitsports Boule (Pétanque), für die Integration über Ländergrenzen hinweg. Ihr »Boulodrome« ist das Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer. Auch der Berliner Schauspieler Kida Ramadan (»Ummah - Unter Freunden«, »Knallhart«, »Underdogs«, »Tatort - Das Muli«) hat dort häufig Kugeln geworfen. Viele Drehs und seine Familie lassen ihm heute nur noch selten Zeit dazu. Das Engagement für einen Boulesnachmittag mit Flüchtlingen war ihm jedoch ein wichtiges Anliegen. Schließlich hat er das Schicksal der Flucht selbst erlebt.

1977 flohen seine Eltern mit ihren fünf Kindern aus dem Libanon nach Deutschland. Kida, geboren 1976, kennt die genauen Umstände der Reise selbst nur aus Erzählungen. Doch offenbar war das Verlassen der alten und der Weg in die neue Heimat damals weitaus weniger gefährlich, als das, was die Flüchtlinge heute erleben, wenn sie Syrien, Irak und andere Kriegs- und Krisenzonen der Welt verlassen müssen, um zu überleben. »Unsere Flucht war nicht so extrem«, konstatiert er. »Ich wünschte den Leuten heute die Flucht, die wir damals hatten. Zu der Zeit sind nicht so viele gestorben.« Eigentlich wollte Familie Ramadan nach Australien. Auch Kanada und Brasilien waren angedachte Ziele. Europa oder gar Deutschland stand eigentlich nicht auf dem Plan. Aber ein Onkel lebte bereits in Berlin, und so wurde es dann Kreuzberg.

Am Rande des Solidaritätsturniers mit Flüchtlingen aus Unterkünften in Neukölln, Moabit und Kreuzberg erzählt mir Kida, wie er die ersten Jahre in der Fremde erlebte. Der Transit war damals nicht das Problem - mit Interflug von Beirut nach Berlin-Schönefeld, DDR, und dann weiter via Ost-Berlin, Bahnhof Friedrichstraße, in den Westen. »Zu der Zeit war es leichter zu flüchten, aber man hatte es schwerer hier«, sagt er. »Eingliederungsprogramme gab es damals nicht. Heute ist es schwerer zu flüchten, aber man hat es leichter hier.«

Für die Ramadans folgten viele Jahre des Wartens: auf Papiere, Eingliederung, Arbeit, die Möglichkeit, die Schulden zurückzuzahlen - die Flucht war teuer -, Schulen für die älteren Kinder, Deutschunterricht. Anfangs gab es nur eine Duldung, das Aufenthaltsrecht wurde für ein Jahr erteilt, dann musste die Genehmigung erneuert werden. Kida erinnert sich an die endlosen Schlangen vor den Behörden - »Es gab Leute, die da gezeltet haben, um morgens gleich dranzukommen.« - und auch beim Roten Kreuz, wo man Wintersachen und anderes Lebenswichtige bekam.

Für Familie Ramadan bedeutete der Umzug nach Deutschland den Wechsel in ein völlig anderes Leben. »Wir bekamen sozusagen eine neue Identität«, schildert Kida das Gefühl. »Für mich war die Integration leicht«, sagt er. »Ich bin ja quasi hier geboren. Für meine Schwester war es viel schwerer. Sie war zehn Jahre alt, wurde im Libanon aus der Schule gerissen und hier direkt in die Schule geschickt. Integrationsklassen gab es in den 1970ern noch nicht.«

Was war denn für dich und deine Eltern und Geschwister Heimat, will ich von ihm wissen. Deutschland? Der Libanon? Wolltet ihr eines Tages dorthin zurückkehren? Heimat war für uns die Familie, sagt Kida. Der Libanon war Erinnerung, allerdings Erinnerung nur an das Gute. Sein Vater sei, sobald er es sich leisten konnte, immer wieder in den Libanon gereist. Auch mehrmals im Jahr, wenn möglich. Deutschland, genau genommen Berlin-Kreuzberg, wurden jedoch zum neuen Zuhause.

Überrascht dich die heute überwiegend positive Haltung gegenüber Migration, die Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen, auch wenn sie »kulturell anders«, eben »Fremde« sind, möchte ich von Kida wissen. Hältst du die vielen »Welcome Refugee«-Initiativen hier für nachhaltig? Nie gab es so viel praktizierte Solidarität, scheint es. »Ich glaube, die Leute hier haben zuerst nicht ernst genommen, was geschah,« bewertet er die heutige Situation. »Sie wussten, dass Menschen auf der Flucht ertranken, aber es war doch sehr weit weg. Bis dann die Bilder nachdrücklicher wurden, und das Foto des kleinen ertrunkenen Jungen am Strand die Runde machte. Da dachten sie dann doch: «Alter, es kann auch mein Kind sein», und das hat wohl etwas bewegt.« Wird das in der Diaspora auch so gesehen, hake ich nach. Es wäre ja denkbar, dass die, die schon hier sind, Angst haben, dass es für sie enger werden könnte. »Alle respektieren, dass etwas geschehen muss«, antwortet Kida kategorisch.

Bringt ein Nachmittag gemeinsames Boulespielen denn etwas, greife ich eine Frage auf, die den Initiatoren des »Jede(r) ist willkommen!«-Turniers im Vorfeld von manchen, wenn auch vorsichtig, gestellt wurde. Auch da ist Kida kategorisch: »Es ist zumindest ein Tag Ablenkung, mal Rauskommen aus der Massenunterkunft. Es hat etwas mit Würde und Respekt zu tun. Wenn wir nur einen mit unserer Aktion glücklich machen, dann hat sie schon was gebracht!«

Wer die entspannten, lächelnden Gesichter der Gäste aus Syrien, Irak und anderen Ländern sah, die sich am vergangenen Wochenende ein paar Stunden mit den Kreuzberger Boulespielern im sportlichen Wettkampf vergnügten, weiß, dass es mehr als einer war, der diese paar Stunden genießen konnte. »Ich bin seit elf Tagen hier, und dies ist der erste richtig schöne Tag,« erklärte einer der Flüchtlinge am Ende unter dem Beifall aller, die an diesem Turnier teilgenommen hatten.

Kida Ramadan, das Flüchtlingskind aus Beirut, der Kreuzberger Immigrant, dessen Muttersprachen Deutsch, Arabisch und Türkisch sind, war bereits in über 30 Film- und TV-Produktionen zu sehen und wurde 2014 in der Kategorie »Beste männliche Nebenrolle« in Cüneyt Kayas Film »Ummah - Unter Freunden« für den Deutschen Filmpreis nominiert. Der überzeugte Autodidakt - Schauspielunterricht hat er nie genommen, seine Schule war der Kiez - ist ein Beispiel für gelungene Integration, für das Ankommen in einem neuen Land. Das ist den Kindern und Erwachsenen, die in diesen Tagen nach Deutschland strömen, auch zu wünschen. Regierung und Gesellschaft, wir alle, könnten dazu beitragen. Damit mehr als einer glücklich wird.

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