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Radfahren in Kreuzberg

  • Volker Surmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Sollte ich jemals eines unnatürlichen Todes sterben, halte ich für die wahrscheinlichste Todesursache, auf dem Kottbusser Damm unter einer Lkw-Ladung anatolischer Wassermelonen begraben zu werden. Es gibt kaum waghalsigere Strecken, die man in Berlin mit dem Rad zurücklegen kann, als einmal quer durch Kreuzberg zu fahren, und Tod durch Wassermelonung ist auf dieser Strecke noch die bei Weitem angenehmste Gefahr. Jedes Mal erreiche ich mein Ziel mit dem besonderen Kick, dem Tod mal wieder einen Haken geschlagen zu haben.

Denn Haken schlagen muss man in der Tat, wenn etwa ein Dönerlieferant auf der Adalbertstraße meint, dass man auch dann in zweiter Reihe parken kann, wenn der konkurrierende Dönerlieferant gegenüber ebenfalls in zweiter Reihe parkt, UPS, dpd und gelbe Post sich dahinter stauen und der Linienbusfahrer meint, dazwischen passe noch ein Bus durch. Und natürlich die Baustellen! Baustellenabsicherung in Berlin besteht ja im Wesentlichen daraus, alle Baumaschinen und Zäune auf dem Radweg abzustellen und die Radfahrer sich selbst oder dem nächsten Melonenlaster zu überlassen.

Nicht zu vergessen die menschlichen Hindernisse! Manchmal glaube ich, Radwege sind nur deshalb rot, weil sie sich für die Dummheit von Fußgängern auf ihrem Rücken schämen. Ich habe noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden, um Fußgänger von Radwegen zu verscheuchen. Denn was ist die Reaktion eines handelsüblichen Fußgängers, der gemächlichen Schrittes auf dem Radweg flaniert, wenn er eine Fahrradklingel hinter sich hört? Er bleibt erst einmal stehen. Dann dreht er sich um. Gaaanz langsam. »Oh, eine Klingel! Da dreh ich mich doch mal um! Ich fass es nicht! Die klingel ist an einem Fahrrad! Ei, der Daus: ’ne Fahrradklingel! Ui, ist ja ganz schön schnell, so’n Fahrrad! So was aber auch: ein Fahrrad mit Fahrradklingel aufm Fahrradweg. Was es nicht alles gibt! Dit is Berlin! Ach, du je! Befinde ich mich womöglich auf dem Radweg? Au, ja! Au, backe! Vielleicht deshalb die Fahrradklingel! Ja, so ergibt es Sinn. Ach, wie schön, dass es noch Dinge gibt, die Sinn ergeben im Leben. Dann trete ich doch mal besser einen Schritt zur Seite. Nach rechts. Nein, lieber nach links. Nee, doch rechts ... EY, DU ARSCH KANNST MICH DOCH NICHT EINFACH UMFAHREN! HASTE KEINE AUGEN IM KOPP?!«

Zwecklos. Zeitweise habe ich es daher mit gutmütigem Zureden versucht, sprich: Warnhinweisen der Art »Achtung!« oder »Vorsicht!«. Doch was tut ein Fußgänger auf dem Radweg, wenn hinter ihm jemand »Achtung!« oder »Vorsicht!« ruft? Er bleibt erst einmal stehen. Dann dreht er sich um, gaaanz langsam, und ruft: »HASTE KEINE KLINGEL, DU ARSCH?!« - Es ist zwecklos.

So bleibe ich lieber auf der Straße und teile sie mir mit Baustellen, Bussen und Melonenlastern. Allerdings habe ich mich bewaffnet, um notfalls zurückschlagen zu können: Bei Radfahrten durch Kreuzberg habe ich immer eine Wassermelone im Rucksack.

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