Mindestlohnkontrolle auf der Autobahn

Neben der Gastronomie und Baufirmen steht die Logistikbranche im Fokus des Zolls - ein Ortstermin

  • Frank Pfaff, Neustadt-Glewe
  • Lesedauer: 3 Min.
Berufskraftfahrer sind viele Stunden auf Achse. Wie sieht es da mit der Einhaltung des Mindeststundenlohns von 8,50 Euro aus? Der für die Kontrolle zuständige Zoll wirft ein Auge auf die Logistikbranche.

Die Aufforderung ist eindeutig: Mit der Kelle winkt der Zollbeamte in seiner grellgelben Warnweste den Lastwagen von der Autobahn 24 auf den Rastplatz Blievenstorf (Kreis Ludwigslust-Parchim). Der Fahrer folgt bereitwillig, stellt den Sattelzug in der gut 150 Meter langen Haltebucht ab, öffnet die Tür und blickt skeptisch auf die beiden Zöllner, die ihn dort erwarten. Er scheint überrascht. Dabei überprüfen Mitarbeiter des Zollbereichs Finanzkontrolle Schwarzarbeit schon seit Tagen Berufskraftfahrer, befragen sie nach Einkommen und Arbeitszeiten. So etwas spricht sich sonst schnell herum im Kollegenkreis.

»Speditionen sind – neben Baufirmen und Gastronomie – einer der Schwerpunkte bei unseren Kontrollen auf Einhaltung des Mindestlohns«, sagt Ralf Bittner von der Zollverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern. Er ist stellvertretender Leiter der Finanzkontrolleure im Land und Chef der Zoll-Niederlassung in Schwerin. Etwa die Hälfte seiner gut 30 Mitarbeiter ist an diesem Morgen im Außeneinsatz. Sie arbeiten in den Gesprächen mit den Kraftfahrern zweiseitige Fragebögen ab, wollen Firmennamen wissen, Auskunft über Art und Dauer der Beschäftigung, über Lohnhöhe und Auszahlungstag. »Die Fahrer haben selten Lohnzettel dabei. Wir vertrauen auf ihre Angaben, schließlich sind die Kontrollen ja in ihrem Interesse«, sagt Bittner.

Das sieht auch ein gut 60-Jähriger so, der wenig später auf den Rastplatz einbiegt. Seit knapp 30 Jahren verdiene er sein Geld als Kraftfahrer. »Es gab Zeiten, da habe ich deutlich weniger in der Lohntüte gehabt. Heute wird die Arbeitszeit elektronisch erfasst, Überstunden und auch Ladezeiten werden vergütet. Ich habe mehr als 8,50 die Stunde und komme gut hin«, berichtet der Mann, der anonym bleiben möchte. Noch entspannter wirkt der Mitarbeiter einer großen Berliner Bühne, der Kulissen von einem Außenlager in Mecklenburg nach Berlin holt, nach eigenen Angaben »guten Tariflohn« bezieht und im Jahr 35 Tage Urlaub machen kann.

Von ganz anderen Erfahrungen berichtet einer seiner Kollegen den Zöllnern nur wenig später. »50 Überstunden im Monat und oft auch mehr. Bezahlt kriege ich die nicht«, sagt der Mann und schätzt seinen Stundenlohn auf effektiv sechs Euro. Die Kontrollen seien gut und richtig, doch habe er Zweifel an der Wirksamkeit. »Unternehmer nutzen die in manchen Regionen noch immer hohe Arbeitslosigkeit aus und drücken die Löhne. Mucke ich auf, kommt der nächste auf den Bock. Die Behörden wissen Bescheid, aber es passiert nichts«, beklagt der sichtlich erregte Mann.

»Bei einigen spürt man schon den Druck, unter dem sie stehen: Sage ich was Falsches, bin ich den Job los«, erklärt der Zöllner, nachdem er die Unterschrift des Kraftfahrers eingeholt hat und dieser Richtung Berlin weitergefahren ist. In Verdachtsfällen wie diesem würden die für den Arbeitsort zuständigen Behörden informiert. Erhärte sich der Verdacht nach Prüfung der Firmenunterlagen, werde Anklage erhoben.

Bundesweit wurden in der Vorwoche Tausende Kraftfahrer überprüft, darunter 712 auf den Straßen Mecklenburg-Vorpommerns. In 55 Fällen stießen Zoll-Mitarbeiter im Nordosten auf Unregelmäßigkeiten und veranlassten tiefergehende Prüfungen. 44 Mal stellten sie mögliche Verstöße gegen das seit Jahresbeginn geltende Mindestlohngesetz fest, der Rest waren Verdachtsfälle auf Sozialversicherungsbetrug, Leistungsmissbrauch und Ausländerbeschäftigung.


Etwa fünf Stunden dauert der Einsatz am Autobahnrastplatz südöstlich von Schwerin. Rund 100 Fahrzeugführer wurden nach Angaben von Zoll-Einsatzleiter Olaf Basedow überprüft. In diesem Zeitraum passierten schätzungsweise 3000 Lastwagen die Kontrollstelle. »Solche Schwerpunktaktionen wie jetzt im September lohnen sich. Denn sie zeigen Unternehmern, die tricksen wollen, dass wir ihnen genau auf die Finger schauen«, sagt Basedow und hofft auf Präventivwirkung auch für andere Branchen. dpa

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -