Von linksradikal bis Finanzkapitalismus
Ulrich Peltzer: Ein beeindruckendes Panorama gesellschaftlicher und politischer Wirklichkeit
Wie politisch die deutsche Gegenwartsliteratur ist oder sein sollte - in dieser Debatte ist vorliegender Roman von besonderem Interesse. Ulrich Peltzer verweist darin auf den Ausspruch des französischen Filmemachers Jean-Luc Godard: Es gelte »keine politischen Filme zu machen, sondern Filme politisch zu machen«. In literarischer Hinsicht gilt das für seinen Roman.
Erzählt wird von zwei Männern und einer Frau, die in ökonomisch guten Positionen der globalisierten Wirtschafts- und Finanzwelt arbeiten. Jochen Brockmann ist für ein Turiner Unternehmen tätig und jettet auf seinen Geschäftsreisen durch die Welt. Der in den USA lebende Brite Sylvester Lee Fleming arbeitet als Risk-Manager für ein Versicherungsunternehmen und ist mit seinen Kontakten zu mittel- und südamerikanischen Militär- und Sicherheitskreisen der Mann fürs Grobe, der auch mal bei der Entführung eines Chefingenieurs in Brasilien interveniert. Die aus Leipzig stammende Angelika Volkhart, eigentlich Russischlehrerin von Beruf, lebt in Amsterdam und arbeitet bei einer Reederei. Die drei Figuren interagieren per Mail, telefonieren, treffen sich an unterschiedlichen Orten des Globus. Alle drei begegnen sich im Laufe des Romans aber nicht. Angelika und Fleming haben erst eine Affäre, bis Jochen Brockmann Angelika Volkhart kennenlernt und mit ihr eine feste Beziehung eingeht, die Ulrich Peltzer als wundervolle Liebesgeschichte in Szene setzt. Erst gegen Ende des Romans trifft Brockmann selbst auf Fleming während eines geschäftlichen Aufenthalts in São Paulo. Dass beide dieselbe Frau begehren, wissen sie nicht einmal.
Ulrich Peltzers Prosa ist streckenweise stark vom assoziativen Bewusstseinsstrom seiner Figuren geprägt. Die Gedankengänge und Erinnerungen sowie verschiedene erzählerische Exkurse lassen einen breit angelegten narrativen Bogen entstehen, um unterschiedlichen kulturellen, sozialen und gesellschaftspolitischen Diskursen und Identitäten des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts nachzuspüren.
Die Biografien seiner drei im globalisierten Kapitalismus so geschickt agierenden Figuren sind außerdem mit einer linken Vergangenheit verbunden, die im sozialen oder familiären Umfeld verankert ist. Angelika Volkharts Russischlehrerin lebte mit ihrem Mann in den 30er Jahren in der Sowjetunion, wo die exilierten Kommunisten unter den Druck stalinistischer Repression gerieten. Jochen Brockmanns Geschwister waren aktiv in der linken Szene der 70er, ein Schulfreund war Mitglied einer militanten Gruppe. Und Sylvester Lee Fleming war einer der Studenten, die am 4. Mai 1970 in der Kent State University in Ohio gegen Nixons Vietnamkriegskurs protestierten und auf die von der Nationalgarde das Feuer eröffnet wurde. Die Erinnerungen an das »Massaker von Ohio« eröffnen den Roman und tauchen mit fortlaufender Handlung immer wieder auf.
Peltzer erzählt streng an der motivischen Vorgabe des Buchtitels entlang. Alle Figuren ringen um »Das bessere Leben«. Ob das Jochen Brockmanns und Angelika Volkharts romantische Begegnung in Amsterdam, die studentischen Demonstrationen in Ohio, der Kampf der exilierten Kommunisten in Moskau, eine Reise zweier junger Frauen durch die Sowjetunion der 60er Jahre oder eine familiäre Krisensitzung im westdeutschen Partykeller ist: Peltzers Figuren kämpfen um Möglichkeiten und erleben gleichzeitig eine langsam fortschreitende Desillusionierung. Eine platte Kritik am Finanzkapitalismus ist dieser Roman aber keineswegs, vielmehr fächert Ulrich Peltzer ein beeindruckendes Panorama gesellschaftlicher und politischer Wirklichkeit auf.
Ulrich Peltzer: Das bessere Leben. Verlag S. Fischer, 448 S., geb., 22,99 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.