Das Leben spielt mit

Monique Schwitter schickt ihre Erzählerin auf eine Forschungsreise zum Wesen der Liebe

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer sich von einem Roman erhofft, für die Dauer des Lesens in eine geschlossene Parallelwelt abtauchen zu können, die ihren eigenen Gesetzen gehorcht, den lässt Monique Schwitter in ihrem jüngsten Buch nicht nur einmal aufschrecken. Wiederholt rüttelt Schwitters Erzählerin, die eine Schriftstellerin ist, am Grenzzaun, den man so gerne zwischen Fiktion und Realität ziehen würde. Und so geschieht es beispielsweise, dass man Zeuge einer öffentlichen Lesung wird - aus jenem Buch, das man gerade in den Händen hält.

Dieser Roman suggeriert, an seiner Entstehung teilzuhaben. Indem die Autorin ihren Leserinnen und Lesern eingibt, der Erzählerin nicht nur beim Schreiben über die Schulter zu schauen, stützt sie jene Neigung des Publikums, »eine Icherzählerin für die Autorin zu halten«, wie es einmal sogar ausdrücklich heißt. Verstärkt wird die Verwirrung durch lauter tatsächliche autobiografische Berührungspunkte. Wer die Lebensdaten von Monique Schwitter auf dem Buchumschlag liest - geboren in Zürich, Theaterstudium in Salzburg, wohnhaft in Hamburg -, findet darin schon einen Gutteil des Settings, das den Roman zusammenhält.

Eine Schriftstellerin Anfang 40, verheiratet, zwei kleine Kinder, sitzt am Computer, um ein Buch zu beginnen. Im Nebenraum checkt der Ehemann, vorgeblich, seine Mails. Statt aber zu schreiben, googelt die Erzählerin den Namen ihrer ersten Liebe - und findet heraus, dass dieser Petrus sich das Leben genommen hat. Dem Schock folgt die Erinnerung und mit ihr das erste Kapitel. Der Anfang ist gemacht, wie aber weiter? Petrus. Andreas. Jakob. Johannes. Die Namen der Apostel. Waren das nicht auch die Namen der verflossenen Liebschaften, bevor sie bei Philipp, ihrem Ehemann, ankam? Nein, waren sie nicht, aber es könnte so gewesen sein.

Wir lesen von der Geburt einer Idee, die sich zum Buch auswachsen wird: »Zwölf Namen, zwölf Männer. Einer nach dem anderen. Wie viele Lieben hat man? Würde ich weiterzählen, käme ich dann auf zwölf? Wahrscheinlich nicht. Obwohl: Wie ich zähle, hängt davon ab, was ich erzähle.« Und also lässt Schwitter uns die Erzählerin dabei beobachten, wie sie den Prozess des Schreibens in Gang setzt: verfremdend, verweisend (Beckett, Giacometti, der Undine-Mythos), einem womöglich noch unbewussten Antrieb folgend.

Geplagt von einem mysteriösen »Kopfklopfen«, das sie mit Hilfe des Morsealphabets zu entschlüsseln sucht: »RAUCH. ZEIT. KIND«, schreibt sie sich Kapitel für Kapitel in die Leben jener Männer zurück, die ihr einst nahe waren: Petrus’ Bruder Andreas, Petrus’ bester Freund Simon, der Schauspielstudent Jakob, der Schauspielprofessor Tadeusz ... Aber: »Das Leben spielt nicht mit. Es drängt hinein in mein Buch und greift nach der Handlung.« Zu den Erinnerungen gesellen sich Schicksalsschläge. Ihr Mann: ein Spieler mit hohen Schulden. Die Schwiegermutter: an Krebs erkrankt. Um Geld zu verdienen: ein Schreibkurs für Schüler, die im selben Alter sind, in dem ihr eigenes erstes Kind wäre - hätte sie es nicht abtreiben lassen; was hätte ihr Sohn gemein mit dem schönen schwarzen Mathieu? Leitmotivisch zieht sich ein Satz der Großmutter durch Schwitters Roman: »Die Liebe, mein Herz, sucht man sich nicht aus.«

Erst im letzten, dem zwölften Kapitel - bis auf Judas hatten alle Apostel ihren Auftritt - adressiert die Erzählerin ein »Du«. Du, das ist der geliebte Bruder, der just zu dem Zeitpunkt starb, als die Erzählerin von Petrus betrogen wurde. »Ich schreibe«, lässt Schwitter ihre Schriftstellerin schreiben, »seit du gegangen bist. Ich dachte, ich würde jedes Buch mit dir beginnen, denn an meinem Anfang stehst du.« Das berührt. Aber es berührt etwas peinlich.

Monique Schwitter: Eins im Andern. Droschl, 323 S., geb., 19 €.

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