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Jede Menge Dreck am Stecken
In Javier Sebastiáns neuem Roman »Thallium« fragt sich die Tochter eines spanischen Offiziers, wie weit sie an seine Geheimnisse rühren darf
Das Thema Vergangenheitsbewältigung, vor allem die Aufarbeitung des Franco-Regimes, spielt in Spanien seit einigen Jahren eine große Rolle. Das zeigt sich auch in Literatur und Film. Mit »Thallium« kommt nun ein im spanischen Original bereits 2004 erschienener Roman von Javier Sebastián heraus.
Javier Sebastián: Thallium.
Roman. A. d. Span. v. Ursula Bachhausen u. Anja Lutter.
Verlag Klaus Wagenbach. 208 S., geb., 19,99 €.
Der 1962 in Zaragossa geborene Sebastián verknüpft in seinen Büchern Geschichte mit literarischer Fiktion. In »Thallium« geht es um eine kaum beachtete Episode aus den späten 1960er Jahren, als Äquatorialguinea von Spanien unabhängig wurde. In den Entkolonialisierungsprozessen der 50er und 60er Jahre mischten für gewöhnlich Geheimdienste und Geschäftsleute bei den politischen Umbrüchen mit, um ökonomische und machtpolitische Interessen durchzusetzen. Javier Sebastián verdichtet dies im Fall Äquatorialguineas zu einem spannenden Thriller, der vor allem auch die Unfähigkeit und den mangelnden Willen zu einem offenen Umgang mit der Geschichte thematisiert.
Das Titel gebende »Thallium« ist ein Gift, das, in kleinen Dosen verabreicht, im Körper der Opfer nur mittels aufwendiger Analyse nachgewiesen werden kann. Damit ermordete Ende der 60er Jahre eine aus französischen und spanischen Geschäftsleuten und Geheimdienstmitarbeitern bestehende Gruppe in dem gerade unabhängig gewordenen Äquatorialguinea die politischen Gegner des Diktators Macias. Aufgedeckt wird das aber erst Jahrzehnte später von der Tochter eines spanischen Offiziers, der in diese Morde verwickelt war.
Javier Sebastián stellt mit der Journalistin Fatima Moreo eine starke Frau ins Zentrum seines Romans. Erst der rätselhafte Tod ihres Vaters, dessen Leichnam an der Costa Brava aufgefunden wird, veranlasst sie, die Geschichte ihrer Familie genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer war der Geschäftsmann, mit dem ihre Mutter vor Jahrzehnten eine Affäre hatte? Und welche Rolle spielte dabei ihr Vater, der als Offizier stets außerhalb Barcelonas tätig war und viel reiste - erst regelmäßig ins Baskenland, wo er bei irgendwelchen geheimen Operationen mitwirkte und später nach Afrika?
Javier Sebastián erzählt diese Geschichte als überaus spannenden Thriller, in dem die politischen Verbrechen der Vergangenheit mit einer spanischen Familiengeschichte inklusive Eifersucht, Betrug und einem diffusen Traum von sozialem Aufstieg verknüpft sind. Dabei tut sich gerade die Journalistin Fatima sehr schwer mit der Wahrheit, die sich ihr enthüllt. Die klare Linie zwischen Tätern und Opfern verschwimmt im Lauf des Romans. Wobei es nicht nur um die Ereignisse der Vergangenheit, sondern vor allem um den Umgang damit in der Gegenwart geht. Letztlich bleibt es dann Fatima als Vertreterin einer nachfolgenden Generation überlassen, eine klare Position zu den Ereignissen zu finden. Soll sie ihren toten Vater belasten und sein Andenken in den Schmutz ziehen? Oder lieber schweigen und nicht weiter daran rühren? Denn schmerzhaft ist das, was sie enthüllt auch deshalb, weil politische Vergangenheit und familiäre Abgründe eng miteinander verknüpft sind.
Javier Sebastián setzt das ethische und moralische Dilemma, in dem seine Figuren stecken, geschickt und glaubwürdig in Szene. Dadurch wird der Roman zu einer Parabel über den kritischen Umgang mit Geschichte und über die damit verbundene Verantwortung, die sowohl die historischen Akteure aber auch die nachfolgenden Generationen tragen.
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