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Abende in Deutscher Eiche
Bea Dieker: Ein »Vaterhaus« erzählt Geschichte
Sich in ein solches Erinnern fallen lassen! Wenn man das könnte! Noch einmal die Zimmer jener Wohnung vor Augen haben, die Kindheitsort war. Wie sah der Fußboden aus? Wie die Tapete? Nein, anfangs waren die Wände gestrichen, »gemalert«. Hohe Räume oder täusche ich mich? Und hinter dem Schrank im langen Flur das Bügelbrett - das sich nachts in etwas unaussprechlich Furchterregendes verwandeln konnte. Bruchstücke, selbst wenn sie sich zu einem Ganzen fügten, woraus würden sie ihre Bedeutsamkeit über das Persönliche hinaus gewinnen?
Bea Dieker: Vaterhaus.
Roman.
Jung und Jung. 112 S., geb., 16,90 €.
Bea Diekers erster Roman ist höchstpersönlich, aber es ist ihr ein Kunststück gelungen: über die Beschreibung eines Hauses in seiner Veränderung Lebensweisen in der Bundesrepublik anschaulich zu machen. Das zeigt sich nicht nur im jeweiligen Zeitgeschmack, Interieurs waren auch Ausdruck von Werten, Hoffnungen und Erwartungen, die sich wandelten. Nicht zum Guten, um es vorab zu sagen.
Das Haus der Kindheit war noch das der Großeltern gewesen, und dem kleinen Mädchen schien es, »dass die Dinge ihre Ewigkeit besäßen … Dass immer wieder, beliebig oft, zu Menschen, Orten, Dingen, die einmal waren, Zuflucht zu nehmen sein wird.« Aber dann: Der Birnbaum - »mein geheimer Gefährte … Warum schlägt die Axt da einfach so hinein? ... Federleichter Kinderwiderstand, wirkungsloses Aufbegehren … Der Hof jetzt eine monotone, grau gepflasterte Leere …« In diesen Sätzen ist im Grunde schon alles, was das Buch sagen will. Man würde es indes nicht mit dieser Begeisterung, ja Spannung lesen, wäre da nicht diese bis ins winzigste Detail genaue Beschreibung der Dinge, mit denen Menschen sich umgeben und sich auch, ungewollt, oft selber ausdrücken.
Bea Dieker, geboren 1960 im Westmünsterland, hat Visuelle Kommunikation studiert. Auf ihrer Website präsentiert sie sich als Designerin. »Ich kam mit dem Zeichenstift in der Hand zur Welt. Soweit ich zurückdenken kann, habe ich immer gezeichnet. Zeichnen war Begreifen und Aneignung von Welt.« Dabei hat sie einen Blick in sich geschult, der ihr beim Schreiben zugutekam. Visuelles Erinnern, sprechende Details. Ein eigener Stil ergab sich daraus. Eine schnelle Abfolge von Bildern, die man beim Lesen vor sich sehen kann. Erstaunlich. Solche Möbel, solche Muster auf den Teppichen hat es in der DDR auch gegeben, auch »Resopalbrettchen, in der Mitte weißgeschabt«. In der Küche damals »pastellige Fronten in Asthmagelb, Puderrosa, Babyblau. Nuschelfarben. Beschwichtigend. Notwendiges Beruhigungsmittel gegen eine unerträgliche Geschichte.«
So sah es damals aus, als der Großvater noch lebte, der ihr Lakritzwasser bereitete und auf seiner Schleifmaschine in der Werkstatt die Buntstifte der Enkelin so anspitzte, dass sie in der Schule beneidet wurde. (Vielleicht der Beginn ihres späteren Berufswegs, denkt man da.) Und die Großmutter stand in ihrer kleinen Küche, umweht von Essensdüften. Wie fing es an, dass die Mutter nur noch wie eine Maschine funktionierte? Die auch die Kinder dauernd antreiben musste. »Kann mir denn keiner mal helfen? Ihr seht doch.« Und der Vater, der bedient sein wollte, weil er sich doch alles zugute hielt - vom BMW bis zum Partykeller. »Das Fürchten der Leere. Diffuse Suche nach Füllung, Geschehnis, Ereignis. Neue Möbel auf der ganzen Etage ... Die Sessel elefantös, zu groß, zu breit für Menschen.«
»Das Mehr hatte doch eben erst begonnen und war schon Last.« Hektisch erschien es der Heranwachsenden, wie umgebaut und neu möbliert wurde. Im Rückblick sucht die Autorin darin so etwas wie ein Zeitsymptom. »Abende in Deutscher Eiche.« Des Vaters wütende Kommentare zu den Tagesnachrichten. »Bedrohung auch noch in Eiche empfinden. Alles immer schwer. Immer schwer in Gefahr.«
Um den Vater im Buch zu charakterisieren, hätte es gar nicht sein müssen, dass er die Mutter schlägt. Aber es ist wohl in der Realität so gewesen.
Es ist eine detailliert erzählte Geschichte darüber, wie Dinge die Übermacht über Menschen gewinnen. Mehr, mehr und neu, neu, aber sich dabei schon nicht mal mehr die Zeit nehmen, einen Bissen in Ruhe zu kauen. »Sich etwas in den Weg stellen. Sich behindern … Vergeblichkeit herstellen. Als ob das Scheitern an den eigenen Dingen, die Vermeidung einer angenehmen und stimmigen Umgebung eine innere Notwendigkeit besäße, als ob eine Form von Sicherheit daraus hervorginge. In Vergeblichkeit kannten sie sich wirklich gut aus.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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