Tief im Wedding

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 2 Min.

Im Wedding, rund um die gleichnamige Station der Ringbahn, residiert die SPD, nahe der eingestürzten Flachbauten und müffelnden Hauseingänge; dort wo das internationale Anwohnervölkchen verwegener erscheint als viele gackernde Flaneure der angrenzenden Bezirke im Osten.

Keine Spur von Gentrifizierung am Nettelbeckplatz im Antonkiez, einen Handgranatenwurf vom Regierungsviertel entfernt. Hier in der Reinickendorfer Straße 96 residiert die Kneipe FuK, was für Fußball und Kultur steht. Eigentlich eine klassische Gegend der Anhänger von Hertha BSC, doch das FuK wird hauptsächlich von Fans des 1. FC Nürnberg besucht. Das Bier von hier heißt »Weltenburger Kloster«, »Hecht Schlenkerla Rauchbier« oder »Veldensteiner«. Für die Clubberer ist bei den Fußballübertragungen die Konferenzschaltung tabu, sie wollen den 1. FCN mindestens 90 Minuten sehen, am besten gleich 115 Jahre.

Doch weil in dieser Kneipe die Vereinsverbundenheit kein Dogma darstellen soll und die Kultur nicht vergessen werden darf, finden unregelmäßig Veranstaltungen statt, so dass sich diese Frankennische mitunter in eine Punk-Kaschemme verwandelt; vor allem wenn im kleinen Hinterstübchen eine Radautruppe etwa 77 Gästen in den Ohren liegt. Dann scheppert es von der einen Wand zur anderen, das Wasser tropft von der Decke, zumindest bis 22 Uhr. Die Veranstaltungsreihe des Surfpoeten Konrad Endler, der auch zum alten Adel der Goyko Schmidts zählt, nennt sich »Schläger Süßtafel«. Ob man diesen Titel tief im Wedding versteht? Konrad tritt mit wechselnden Gastautoren an, nach der Lesung mit Gesangseinlagen geht der Hut im Publikum rum.

In diesen halbdunklen Stuben muss sich niemand etwas vormachen, hier darf der Dauerstudent in Ruhe die »BZ« lesen. Neben dem Tresen stapeln sich an der Wand zwei Quadratmeter Magnetbandkassetten mit zeitgemäßer Musik von vor 30 Jahren. Punk, Reggae, Steinzeit-Electro. Immerhin besitzen die Betreiber ein funktionierendes Doppelkassettendeck, das automatisch von einer Seite, beziehungsweise Kassette, auf die andere umschalten kann. Ihr einziges Zugeständnis an die Moderne, doch ein Plattenspieler kommt ihnen nicht ins Haus.

Für das FuK wären zwei, drei interessante Lokale in der Nachbarschaft belebend für das Geschäft. Einige Jazzer sollen vor Monaten drauf und dran gewesen sein, regelmäßig eine Session aufzuziehen, haben jedoch bald aufgegeben. Das Berliner Ausgehvolk mag seine Musiker besonders, wenn sie »nur 15 Euro« Eintritt verlangen und als Geheimtipp in allen Reiseführern stehen. Noch ist das FuK kein cooles Sprungbrett für den Weltmusikmarkt. Immerhin kann man sich auf Facebook schon informieren, welcher anhaltinische Autor dort demnächst über die Schönheiten der Architektur totalitärer Systeme berichtet.

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