Sozialliberaler tritt in die LINKE ein
Andreas Büttner, ehemals Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion, wechselt die Partei
Das sei die größte Überraschung seit dem Wechsel des Fußballspielers Mario Götze zum FC Bayern München. Diese Einschätzung hat der ehemalige FDP-Landtagsfraktionschef Andreas Büttner gehört und lacht darüber, weil er sich so wichtig nicht nimmt. Dennoch ist erklärungsbedürftig, was sich gerade abspielt. Im Landtagswahlkampf 2014 war Büttner noch Spitzenkandidat. Am Donnerstagabend verließ er die FDP, am Freitagmorgen stieß er zur LINKEN.
Dass er die FDP verlasse, können viele verstehen, sagt Büttner, nicht jedoch, dass er ausgerechnet zu den Sozialisten gehe. In der Tat sei dieser Schritt erklärungsbedürftig, räumt Büttner ein. Am Freitagvormittag begründet er sein Handeln - im Ahorn Seehotel im uckermärkischen Templin. Das Hotel ist ein altes Ferienheim des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB. In der 12. Etage befindet sich das höchstgelegene Restaurant Brandenburgs, wie ein Schild am Eingang verspricht. Nicht ganz so hoch hinaus kommt Büttner am Freitag. Er genießt auf einem Balkon in der 11. Etage den Blick auf den Lübbesee und schwärmt von seiner Wahlheimat Templin. Dann legt er Journalisten eine zweieinhalbseitige Erklärung vor und erläutert sie.
Demnach machte der 42-Jährige in den zurückliegenden Monaten Erfahrungen, die seine persönliche Einstellung verändert haben. Eins von Büttners vier Kindern ist behindert, leidet offenbar an einer wissenschaftlich noch nicht erforschten Genomveränderung. Eine Folge davon sind Sprachdefizite. Eine frühe Förderung schon im Kleinkindalter hätte vielleicht helfen können, doch das sei am Streit um die Übernahme der Kosten gescheitert, erzählt Büttner.
Außerdem sei sein Vater letzte Woche an Krebs verstorben. Die Anerkennung für die dringend notwendige Pflegestufe 3 sei aber erst gekommen, als der Vater schon tot war. Solange ein Fahrdienst nicht bewilligt war, sollte der Vater den Zug nehmen. Doch er habe zuletzt gar nicht mehr laufen können. »Ich möchte eine soziale Marktwirtschaft, keine asoziale Marktwirtschaft«, bekennt Büttner traurig.
Es sind allerdings nicht nur diese Schicksalsschläge, die den Polizeioberkommissar zum Umdenken bewegten. Es waren auch die Ereignisse in Griechenland. »Wir sollten nicht Banken retten, sondern Menschen«, findet Büttner nun und erklärt, er glaube an ein solidarisches Europa. Er glaube auch an das Grundrecht auf Asyl. Dieses Grundrecht gelte es für jeden zu sichern, der Schutz vor Verfolgung, Krieg, Elend und Not suche.
Seit die FDP im September vergangenen Jahres den Wiedereinzug in den Landtag verpasste, arbeitet Büttner wieder als Polizist, wird zum Streifendienst in Berlin-Spandau eingeteilt und soll sich dienstlich um das größte Asylheim in der Hauptstadt kümmern. Dass nur die LINKE dagegen stimmte, den Kosovo als sicheres Herkunftsland einzustufen, das hat Büttner erschüttert, wo doch die Bundeswehreinsätze dort »Jahr für Jahr verlängert werden«, gerade weil der Kosovo nicht sicher sei.
Wenn dieser Parteiübertritt auch ein Paukenschlag ist, für Leute, die Büttner näher kennen, kommt er nicht überraschend. Wenn Büttner in eine andere Partei geht, dann in die LINKE, das sei schon lange klar gewesen, meint LINKE-Landesvize Sebastian Walter. Denn Büttner kämpfte im Landtag jahrelang für längeres gemeinsames Lernen aller Schüler, mindestens bis zur 9. Klasse. Nur den in der FDP nicht gern gehörten Begriff Gemeinschaftsschule hat er früher vermieden. Die LINKE machte sich zwischenzeitlich Sorgen, in der Bildungspolitik ausgerechnet vom FDP-Fraktionschef links überholt zu werden.
So groß, wie es auf den ersten Blick scheine, sei sein Schritt gar nicht, betont Büttner. Vielleicht habe er sich kaum verändert, sondern vielmehr die Welt sich um ihn herum. Der Polizeibeamte hält es beispielsweise für ungerecht, dass drei Prozent der Bevölkerung 40 Prozent des Vermögens besitzen und plädiert für Umverteilung. »Heute ist es offensichtlich links, was einmal Mainstream war in der Politik«, bemerkt Büttner und erinnert an die viel höheren Spitzensteuersätze unter der schwarz-gelben Bundesregierung von Helmut Kohl. Büttner bemerkt auch: »Heute ist es offensichtlich links, wenn man sagt, Wasser und Strom sind Gemeingut.« Na gut, dann sei er jetzt ein Linker.
Eine politische Karriere möchte er vorläufig nicht mehr machen. Fünf Jahre ist er im Landtag gewesen, sehr gern. Aber die Kinder habe er in dieser Zeit viel zu selten gesehen und möchte nun wieder mehr Zeit für seine Familie haben. Büttner denkt im Moment nicht im Traum daran, 2019 wieder für den Landtag zu kandidieren. Er ist Stadtverordneter in Templin. Das genügt ihm.
Die LINKE ist nach ihrer Wahlschlappe im vergangenen Jahr auch keineswegs in der Lage, lukrative Posten anbieten zu können. Vizelandeschef Walter wertet Büttners Eintritt deshalb als ermutigendes Signal dafür, »dass wir attraktiv werden für Menschen, für die wir bisher nicht attraktiv waren«. Angesichts der Asyldebatte sei genau jetzt der richtige Zeitpunkt, in die LINKE zu kommen, wirbt Walter.
Büttner stammt aus Kassel, trat noch in seiner Geburtsstadt als 16-Jähriger für kurze Zeit der CDU bei. Der Onkel, der Vizebürgermeister gewesen sei, habe ihn dazu bewegt, erinnert sich Büttner an diese Jugendsünde. Der FDP gehörte er seit 2001 an, fühlte sich den verschütteten sozialliberalen Traditionen verbunden. Wenn das »nd« den FDP-Politiker Büttner zitierte, musste er sich hinterher vor Parteifreunden rechtfertigen, er habe der sozialistischen Tageszeitung kein Interview gegeben. Es sei nur geschrieben worden, was er auf einer Pressekonferenz oder in einer Landtagssitzung gesagt habe. Diese Zeiten der Rechtfertigung sind nun vorbei.
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