Selbstbewusst mit Monokel
Mit einer Ausstellung holt Straßburg den Lyriker, Theoretiker und Sammler Tristan Tzara aus der Vergessenheit
Von Tristan Tzara weiß man gemeinhin nur, dass er ein Dichter war, beim Entstehen des Dadaismus in Zürich eine Rolle als Herausgeber der gleichnamigen Zeitschrift spielte und dass er später nach Paris ging, wo er ohne großen Erfolg den Dadaismus zu etablieren versuchte und sich zeitweise den Surrealisten anschloss.
Doch dass Tzara viel mehr war, dass er rund 450 Werke - Lyriksammlungen, Essays und kunstkritische Abhandlungen über Gegenwartskunst, aber auch über die naive Kunst außereuropäischer Völker - verfasst und unzählige Kunstwerke gesammelt hat, das ist nun im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Straßburg zu sehen. Der Titel »Tristan Tzara, Der approximative Mensch« ist seiner gleichnamigen und seinerzeit relativ erfolgreichen Gedichtsammlung entnommen, doch auch die ist heute fast vergessen.
»Tzara war kein populärer Künstler und wird es nie werden«, meint Serge Fauchereau, der Kurator der Ausstellung. »Dazu war er ein viel zu komplexer Mensch. Dabei hatte er Charisma und viele Freunde.« So wurden seine Werke von den größten Malern seiner Zeit illustriert, die alle mit ihm befreundet waren, von Arp, Brancusi und Giacometti über Delaunay, Duchamp und Picasso bis Matisse und Zadkine.
Diese Kunstwerke, die aus mehr als 50 Museen und privaten Sammlungen in Frankreich, Rumänien, Deutschland und der Schweiz zusammengetragen wurden, machen den Hauptteil der Ausstellung aus. Sie ist chronologisch gegliedert und räumt den Jugendjahren in seiner Heimat Rumänien breiten Raum ein, wo sich der 1896 als Samuel Rosenstock geborene begabte Junge schon bald als Lyriker einen Namen machte und dank seiner vermögenden Eltern schon mit 16 Jahren eine Literaturzeitschrift herausgab. »Im Schreiben sah er eine Möglichkeit, überholte Kunstformen ebenso anzuprangern wie die Absurdität einer im Chaos versinkenden Welt«, meint Fauchereau.
Die Ausstellung präsentiert erstmals in Westeuropa Werke des rumänischen Symbolismus, der den jungen Tzara, wie er sich jetzt nannte, stark beeinflusst hat. Als er 1915 zum Studium nach Zürich kam, war ihm sein Ruf bereits vorausgeeilt und er fand schnell Anschluss an die Dada-Provokateure des Cabaret Voltaire und vor allem zu Arp, mit dem er zeitlebens eng befreundet war. Nach Paris holte ihn Picabia, der ihn mit Breton, Aragon und Eluard bekannt machte. Die Überzeugung, dass Kunst nach dem Massensterben des Krieges nicht weitergehen konnte wie vorher, führte ihn zu den Surrealisten und deren aufsehenerregenden und provokanten Happenings. Doch er wandte sich bald wieder von ihnen ab, weil er das Diktat von Breton und dessen absolute Urteile über Kunst nicht akzeptieren konnte.
Der selbstbewusste junge Mann mit dem Monokel, den der Dichter Huelsenbeck einmal als »Genie ohne Skrupel« bezeichnete, zog sich für viele Jahre zurück zu kunsttheoretischen Arbeiten und dem Schreiben von Kunstkritiken, ganz abgesehen vom nebenbei betriebenen Kunsthandel, mit dem er es zu Wohlstand und sogar einer nach seinen Plänen gebauten Villa in Paris brachte. Doch gleichzeitig war er ein engagierter Künstler, schloss sich 1934 der Vereinigung der Revolutionären Schriftsteller und Künstler an und unterstützte im Spanischen Bürgerkrieg die Republikaner. Obwohl er sich als Jude in den Jahren der Besetzung in der französischen Provinz verstecken musste, engagierte er sich in der antifaschistischen Résistance. Er trat der Kommunistischen Partei bei und blieb ihr bis zu seinem Tod 1963 treu, was ihn aber nicht hinderte, den Einmarsch sowjetischer Panzer in Ungarn zu verurteilen.
Musées de Strasbourg, bis 17.1.16; www.musees.strasbourg.eu
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