Mit Waffe und Buch

Zwei starke Menschen, die auf ihre Weise für ein besseres Pakistan kämpfen

  • Gilbert Kolonko, Hyderabad
  • Lesedauer: 5 Min.
Zwei willensstarke Menschen kämpfen auf ihre Weise für ein besseres Pakistan: Der eine mit der Waffe in der Hand, die andere mit dem Buch.

Die Polizei in Pakistan hat einen üblen Ruf, ist sie doch seit Jahren die korrupteste Institution im Land. Im südlich gelegenen Hyderabad dagegen sind die Menschen begeistert von ihrer Polizei und ganz besonders von ihrem Super-Polizisten Irfan Baloch. Er verfährt mit vermeintlichen Kriminellen seiner Stadt nach dem Motto: Halbtot oder ganz tot.

Hyderabad ist eine dieser planlos ausufernden Millionenstädte Pakistans, die aus aneinandergereihten unverputzten Ziegelsteinhäusern besteht und von der man sagt: Vor 50 Jahren muss das mal ein schöner Ort gewesen sein. Das »Empfangskabuff« auf dem Wohngelände des Superintendenten der Polizei Irfan Baloch gleicht einer hoch gesicherten, aber spartanisch eingerichteten Einsatzzentrale. Die kommenden und gehenden Beamten sind übermüdet, doch liegt Stolz auf ihren Gesichtern: »Ich bin seit 17 Jahren in Hyderabad, doch erst Irfan Baloch hat es geschafft, die Stadt wieder sicher zu machen«, sagt ein älterer Polizist. Trotzdem fühlen sich er und seine Kollegen von der Politik im Stich gelassen. »Jeder Kleinkriminelle ist besser ausgerüstet als wir. Unser Gehalt ein Witz - zwischen 120 und 200 Euro für einfache Beamte - sowie die Krankenversorgung.«

In seinem Büro antwortet Irfan Baloch auf den Vorwurf seiner Kritiker, die Erfolge in Hyderabad seien eher dem Umstand zu verdanken, dass die Ordnungshüter erst schießen und dann fragen würden. Etwas müde lächelnd streckt er sich: »Ich habe nur 900 Beamte zur ständigen Verfügung, um die Sicherheit von mehr als zwei Millionen Menschen zu gewährleisten. Theoretisch sind es 3500 Polizisten, aber die meisten muss ich zum Schutz von wichtigen Leuten oder Gebäuden abstellen.«

Seine Mutter habe gesagt, dass ein anderer diesen Job machen solle: »Wir alle wollen in Frieden leben, aber keiner will sich die Hände dafür schmutzig machen. Aber einer muss, also tue ich es.« Allein im letzten Jahr seien 18 seiner Leute in Hyderabad getötet worden, berichtet der Superintendent. In Karatschi seien es 143 gewesen. »Natürlich habe ich Angst, aber mehr um meine Frau und meine Kinder«, sagt er. »Sie leben deshalb nicht in meiner Nähe.« Vor Hyderabad sei er in West-Karachi stationiert gewesen, »wo wir gegen die pakistanischen Taliban gekämpft haben - das war Krieg«.

In Pakistan sei Bildung nötig, »die den Schülern auch vermittelt, dass sie Bürger eines Landes sind und als solche Rechte und Pflichten haben«. Korruption sei in Pakistan so normal, dass sie als gegeben hingenommen werde. »Ich jedoch nehme weder das, noch die Kriminalität als gegeben hin, ich kämpfe dagegen mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.«

Eine starke Frau, die auf ihre Weise die Dinge verändern möchte, wohnt nur ein paar Straßen weiter. Shahana versucht es mit einer Schule. Hier in der Provinz Sindh gibt es 5229 »Geisterschulen« - Regierungsschulen, die leer stehen. Dafür sind jedoch nicht die Taliban verantwortlich, sondern lokale Politiker und Landlords, die sich das Geld für 40 000 nicht existierende Lehrer in die Tasche stecken. Die 60-jährige Shahana hat es eilig. »Heute ist Weltbildungstag und wir haben eine Demonstration organisiert.« Kurz darauf stehen wir inmitten von Hunderten von Schülern, Lehrern und Kameraleuten, denen die energiegeladene Shahana gleich ein paar Takte in die Mikrofone geigt.

Keine Stunde später beginnt ein Seminar der Sindh-Bildungs-Gesellschaft. »Als ich vor 13 Jahren mit meiner Schule begann, war ich praktisch ohne Unterstützung in Hyderabad. Auch wenn die Regierung wohl noch weitere 20 Jahre schlafen wird, sind bereits einige Menschen aufgewacht und wir beginnen uns zu vernetzen«, sagt Shahana. In ihrer Schule sticht sofort die Sauberkeit im Gebäude ins Auge, obwohl gerade 140 Mädchen und Jungen die Pause zum Herumtrollen nutzen. Lachend erklärt Shahana das kleine Wunder. »Als wir in die neue Schule umzogen, krabbelte mein Mann in den Pausen auf dem Boden herum und sammelte den Müll ein. Den Schülern war das schnell peinlich. Kurz darauf lag kein Müll mehr herum.«

In ihrem Garten, dem Ort, wo alles begann, erzählt Shahana von Dänemark. Dort habe sie eine Zeit lang gelebt und festgestellt, dass dieses großartige Land sie nicht brauche: »Dafür aber Pakistan!« Bei ihrer Rückkehr habe sie verstanden, dass »ich bei den ganz Jungen anfangen muss: mit einer Schule«. Am ersten Tag seien statt der erwarteten 15 Kinder 50 gekommen und statt Stunden zu geben, habe sie alle Seifen im Haus eingesammelt und Waschunterricht erteilt.

Heute haben Shahana und ihr Mann ein eigenes Schulgebäude, in dem sie 200 Kinder unterrichten, sowie Näh- und Englischklassen für Erwachsene. Alles wird finanziert aus privaten Spendengeldern. »Wir nehmen mittlerweile einen kleinen Betrag als Schulgeld. Nicht des Geldes wegen, aber seitdem kommen mehr Schüler regelmäßig zum Unterricht.« Genauso wird mit gespendeter Kleidung verfahren. Anstatt sie zu verschenken, wird ein Flohmarkt veranstaltet.

»Wir haben festgestellt, dass unsere Schüler und deren Eltern Dinge mehr zu schätzen wissen, wenn sie selbst etwas dafür bezahlen.« Sie selbst habe in 13 Jahren Entwicklungsarbeit gelernt, dass »einfach nur Geld gar nichts ändert«. Man müsse etwas aufbauen, mit dem man selbst und andere weiterarbeiten können. »Dazu wollen wir unseren Schülern vermitteln, was es heißt, Bürger ihres Landes zu sein«,

Das ist auch das Anliegen des Polizisten Irfan Baloch. Was sie von ihm halte? Das Leben in der Stadt sei im Augenblick wieder sicher. »Aber was wird sein, wenn er getötet wird; wollen wir ein System mit der Alternative halb- oder ganz tot wirklich an die nächste Generation weitergeben?« Nötig sei in Pakistan ein funktionierendes Rechtssystem in dem Polizisten Verdächtige festnehmen und Richter sie verurteilen. »Herr Baloch baut nichts auf.«

Ihr Mann unterrichte gerade in Lahore. Auch sie selbst müsse nicht mehr selbst jeden Tag in der Schule sein und könne an der Eröffnung einer zweiten arbeiten. »Unsere Schule hat Rückschläge überstanden, weil wir geduldig ein System aufgebaut haben, in dem einzelne Menschen ersetzbar geworden sind. Das ist für mich Entwicklungsarbeit.«

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