Die Uhr von Big Ben läuft ab …
Erstmals in 156 Jahren: Londons Wahrzeichen könnte vier Monate still stehen
Alles hat seine Zeit, und in diesem Fall läuft sie ab: Auf die britischen Steuerzahler könnte eine Rechnung von umgerechnet 35 Millionen Euro zukommen, um die weltberühmteste Uhr mit ihrem weltweit imitierten Gong von Grund auf zu sanieren - Big Ben an Londons Themseufer. Ein Untersuchungsbericht für den Finanzausschuss des Unterhauses nennt 29,2 Millionen Pfund und mahnt zur Eile für eine umfassende Renovierung. Das Wahrzeichen ist nach der mit 13,5 Tonnen schwersten der fünf Glocken benannt; die vier in jede Himmelsrichtung weisenden Zifferblätter haben einen Durchmesser von je sieben Meter, die Minutenzeiger am 96 m hohen Glockenturm des Palace of Westminster messen 4,3 m.
Der Report hält eine Reparatur von vier Monaten für unerlässlich. Dies wäre die längste Stilllegung der Uhr in ihrer 156-jährigen Geschichte. Die bislang längste Unterbrechung liegt fast 40 Jahre zurück. 1976 war die Uhr bei neunmonatiger Reparatur mit Unterbrechungen 26 Tage abgeschaltet worden. Aktuell bestehen Probleme bei der Halterung für die Zeiger sowie den Glockenaufhängungen. Gefahr ist auch sonst in Verzug: »schwerwiegende Metallerosion«, »Risse im Dach« und andere »Strukturschäden« am Turm, der selbst als Big Ben geläufig ist, seit dem Diamantenen Thronjubiläum der Queen 2012 amtlich jedoch Elizabeth Tower heißt.
Die Generalüberholung würde dem Report zufolge die viermonatige Stilllegung der Uhr sowie nacheinander die Überarbeitung der Zifferblätter bedeuten. Für die Dauer der Arbeiten wird die Einrichtung eines Besucherzentrums am Fuß des Turms und ein Fahrstuhl als Ersatz für die 334 Treppenstufen angeregt. Zusammenfassend heißt es: Für den Fall, dass die Arbeiten nicht bald gemacht werden, bestehe die große Gefahr, »dass der Uhrmechanismus versagt und das gewaltige Risiko internationaler Rufschädigung für das Parlament eintritt«.
Die Uhr an Big Ben schreit am dringlichsten nach Hilfe. Doch sie ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Westminster-Palast als Ganzer verlangt nach Generalsanierung. Er ist einer der wenigen von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Parlamentsgebäude und befindet sich in so schlechtem Zustand, dass Eile geboten ist. Eine Kommission hatte 2012 festgestellt, dass elementare Dinge im Palast, der das House of Commons und das House of Lords beherbergt, »nur noch mit wachsenden Risiken funktionieren«. Das gelte für Strom- und Wasserleitungen, Sanitäreinrichtungen, leckende Dächer, die zunehmend Schimmelbefall und Überschwemmungen auslösten - dazu sei der Palast asbestverseucht.
Der Palace zählt 1100 Räume, von Ratssälen über Bars bis zu Sporthallen. Der Bau ist seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht generalüberholt worden, weshalb es schon im Bericht 2012 hieß: »Wäre der Palast nicht in höchster Kategorie denkmalgeschützt, müsste man den Bauherren empfehlen, ihn abzureißen und neu zu bauen.« Heute dreht sich die Debatte darum, wie die mit sieben Milliarden Pfund bezifferte Sanierung ablaufen könnte. Laut »Sunday Times« sei die erstmalige Räumung des Parlaments seit dem Weltkrieg ebenso denkbar wie eine Komplettaufgabe, Verkauf und Neubau andernorts. Der »Guardian« schrieb im Sommer: »Wenn je der Moment war, die Gretchenfrage zu stellen, ob das Parlament London verlassen und, sagen wir, nach York ziehen sollte, nun ist er da. Aber selbst wenn es in London bleibt, was der Fall sein dürfte, solange die Regierung hier ist, spricht viel für die Auslagerung eines - radikal reformierten - House of Lords und Bereichen des Unterhauses aus London, besonders während des Wiederaufbaus von Westminster.« Für letzteren wird übrigens ein halbes Jahrhundert veranschlagt, obgleich über eine Beteiligung von BER-Planern nichts bekannt ist.
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