Ein Kübel voll Zuckerwasser
Cornelia Haß von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di ist gegenüber elektronischen Helfern in Redaktionsstuben äußerst skeptisch
Es ging ein Rauschen durch den Blätterwald: Die »Rheinische Post« verwendet künftig einen Algorithmus, der in großen Unternehmen üblicherweise als Frühwarnsystem für aufziehende »shitstorms« verwandt wird. Die Zeitung will den elektronischen Helfer einsetzen, um im Netz virulente Themen zu identifizieren, die eine weitergehende journalistische Bearbeitung interessant scheinen lassen.
So ganz neu ist diese Herangehensweise nicht: In allen großen Onlineredaktionen bedienen sich Social-Media-Manager diverser Algorithmen, um Trends und neue Themen zu identifizieren. Und schon seit langem erstellen in den USA Algorithmen Wetterberichte und machen aus Sportergebnissen kurze Texte. Kein Mensch kann dabei einen Wetterbericht so akkurat in 17 Sprachen gleichzeitig auf jeden nur denkbaren Ort hin produzieren. Und kein Mensch will vielleicht dauerhaft seine Wochenenden damit verbringen, E-Jugendspiele aus ganz Brandenburg in Tabellen zusammen zu stellen, damit diese in den Regionalzeitungen korrekt dargestellt werden.
Einverstanden. Doch um mit dem Regisseur Pierre-Olivier Francois zu sprechen, der für arte die sehenswerte Dokumentation »Journalismus von Morgen - Die virtuelle Feder« produziert hat, in der er der Automatisierung und den Finanznöten des Journalismus von heute nachspürt und einen Blick in die Zukunft wagt: Der Mensch ist als wichtigster Parameter aus journalistisch arbeitenden Algorithmen nicht wegzudenken. Denn Trends und Themen bedürfen einer Einordnung, ebenso wie ein Wetterbericht vielleicht einen Orkan voraussehen, aber nicht die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Folgen, die sich daraus ergeben können und die möglicherweise erst den eigentlichen Orkan entfachen. Das ist und bleibt Aufgabe der Menschen, die in den Redaktionen sitzen und denen gerade angesichts der Masse an Informationen, die dem Publikum via Internet zur Verfügung stehen - oder besser gesagt: mit denen es fortwährend überschwemmt wird -, eine besondere Bedeutung zukommt, nämlich die, »wahre« Information von interessengeleiteter Fehlinformation zu trennen.
Die österreichische Journalistin Sibylle Hamann hat die Informationen aus dem Netz vergangene Woche in einer Rede vor jungen Journalistinnen und Journalisten mit einem Riesenkübel Industriezuckerwasser verglichen, der vor die Bienenstöcke der Redaktionen gestellt wird. Er ist randvoll mit PR, mit Auftragsstudien, Texten von Lobbygruppen - also mit allem, was den Blick auf die Wirklichkeit verstellt. Kein Algorithmus wird den Redaktionen den Job abnehmen können, sich an diesem verführerisch duftenden Elixier vorbei zu zwängen und im richtigen Leben Witterung aufzunehmen für die Geschichten, die das wirkliche Leben schreibt - und auf die es ankommt, um zu verstehen, was um uns herum passiert, im lokalen Maßstab ebenso wie in einer globalisierten Welt. Dazu müssen Redaktionen personell ordentlich ausgestattet sein und nicht am Tropf der Information aus dem Algorithmus hängen und sich dessen Infusion sklavisch beugen.
Einen Trend zu kennen, heißt nicht, ihn mitzumachen. Die Freiheit, für oder gegen einen Trend zu schreiben, nimmt den Journalistinnen und Journalisten kein Automat ab. Für diese Freiheit braucht es aber stabile wirtschaftliche Rahmenbedingungen, dafür braucht es Mut und eine Haltung. Nichts davon generiert ein Algorithmus. Grade in einer Welt, die immer unübersichtlicher wird und zunehmend in Partikularinteressen zerfällt, ist es wichtig, den Überblick zu behalten. Diesen Überblick zu verschaffen, ist die Funktion von Journalismus und deswegen kommt dem Journalismus nicht von ungefähr die Rolle der vierten Gewalt in einer Demokratie zu.
Diejenigen, die ein Interesse haben, der Demokratie zu schaden, mögen ein Interesse an automatisch generierten Informationen haben. Wer hingegen Demokratie will, muss ein Interesse haben, den Journalismus, der von Menschen gemacht wird, zu unterstützen - auch indem journalistische Produkte unter Zuhilfenahme technischer Möglichkeiten über neue Vertriebswege und Finanzierungsmodelle an die Leserinnen und Leser gebracht werden. Eine Automatisierung des Journalismus ist das nicht. Die kann es nicht geben, weil die Begriffe Automaten und Journalismus sich von der Definition und ihrer Rolle im gesellschaftlichen Kontext ausschließen.
Cornelia Haß ist Bundesgeschäftsführerin der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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