Vögeln für das Volk
Im Kino: »A Perfect Day« von Fernando León de Aranoa
Von Tobias Riegel
Dies ist die Geschichte der Suche nach einem Seil und einem Ball. Weil diese Suche jedoch im Nachkriegs-Bosnien und vom Personal einer internationalen Nichtregierungsorganisation (NGO) durchgeführt wird, wurde aus Fernando León de Aranoas Film »A Perfect Day« keine Kindergeschichte. Er ist stattdessen ein schwarzhumoriges und zynisches Kriegs-Komödien-Drama, in dem sich Rockmusik, Schockmomente und Kalauer fröhlich, bzw. hysterisch die Hand reichen. So leicht wie hier wurde die Schwere des Krieges lange nicht mehr geschildert. Und obwohl kein Schuss fällt, ist der Film auch brutal und berührend - vor allem aber absurd, genau wie die Verhältnisse, in denen er spielt.
Balkan, 1995: Der Krieg ist offiziell vorbei, hier und da lodern noch Kampfhandlungen auf, die Straßen sind vermint, die Milizen sind noch nicht aufgelöst, die Kinder sind (wie die noch lebenden Erwachsenen) bewaffnet und verroht. Um einen strategisch wichtigen Dorfbrunnen zu vergiften, haben Unbekannte eine Leiche hineingeworfen - ein Routinefall für die Idealisten der NGO »Aid across Borders«. Doch das Seil, mit dem der beleibte Tote herausgefischt werden soll, reißt. Auf der Suche nach einem neuen Strick (und einem Fußball für einen aufgelesenen Straßenjungen) durchläuft das NGO-Quartett um Mambrú (Benicio del Toro) alle Phasen des durch UN-Bürokratie und Bürgerkrieg angerichteten Wahnsinns.
Man ist Zeuge eines verzweifelten und zum Scheitern verurteilten Versuchs, ein wenig Ordnung ins Chaos zu bringen. Hier kämpfen Idealisten und Zyniker einen Krieg im Krieg. Und sie flüchten sich dabei in einen Galgenhumor, der wenigstens eine kleine Distanz zum allgegenwärtigen Horror aufbaut. »Es gibt keinen Ort, wo der Humor nötiger wäre als im Kriegsgebiet«, sagt Regisseur de Aranoa.
»A Perfect Day« mutet den Zuschauern ein wahres Wechselbad zu, er bewegt sich zwischen Kriegsmelodram, Brachialkomödie und Beziehungsdrama. Diese Wechsel sind oft so hart und unvermittelt, dass sich nun viele Kritiker davon vor den Kopf gestoßen fühlen. Dabei schöpft der respektlose Film genau daraus seine Kraft. Vielleicht wollen sich viele Rezensenten auch lieber das romantisch-heroische NGO-Bild erhalten, das westliche Medien von diesen Gruppen zeichnen. Schließlich sind sie das Feigenblatt schlechthin: Wenn »der Westen« mit seinen perfektionierten Militärmaschinen schon der größte Kriegsverbrecher der Gegenwart ist (und dies auch in den 90er Jahren auf dem Balkan war) - dann möchten wir nicht auch noch »unsere« nach dem Morden aufräumenden Idealisten in einem solchen allzu menschlichen Licht sehen.
Doch Regisseur de Aranoa bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: »Menschenleben zu retten, hat nichts Heldenhaftes an sich. Heldenhaft ist, dass man es versucht.« Wie wahr: Auch wenn sich der Alltag der NGO wie ein grotesker Zirkus, wie eine verrückte Beschäftigungstherapie für gelangweilte Westler ausnimmt, so steht dahinter doch tatsächlich individuelles Heldentum - Entbehrungen und Lebensgefahr inklusive. De Aranoa nennt das den »stummen Krieg«, der zwischen den Fronten, den Kontrollposten, dem Kampf gegen Minen, den Kindersoldaten und dem Hass zwischen früher befreundeten Nachbarn stattfindet.
Drei Typen von NGO-Mitarbeitern werden vorgestellt: die naiven und nervigen Neulinge, die abgekochten Profis und die völlig abgestumpften, nur noch zwischen den Konflikten pendelnden Humanitäts-Söldner. Neben vielen anderen Spitzen gegen die Weltverbesserer stellt de Aranoa jenes Weltverbesserertum als ziemlich offensichtliche Flirtbörse dar. Denn das eingespielte NGO-Team gerät in Unruhe, als Katya (Olga Kurylenko) auftaucht. Ausgerechnet diese Ex-Gespielin von Mambrú soll die Arbeit der Gruppe überprüfen - und sie bei Ineffektivität nach Hause schicken. »Du musst Katya flachlegen«, wird Mambrú darum von »B« (Tim Robbins) beschworen. »Dann ist sie gut drauf und schreibt uns eine wohlwollende Beurteilung«, bearbeitet der Oberzyniker den müden Macho. »Sonst wird unsere Mission abgebrochen. Denk an die Menschen hier. Du musst sie vögeln! Tu es für das bosnische Volk!«
Die Panik ist nachvollziehbar: Die NGO-Mitarbeiter im Film (wie wohl auch in der Realität) haben, jenseits der aktuellen humanitären Katastrophe, handfeste persönliche Motive, im Krisengebiet bleiben zu wollen: Sie flüchten vor dem Eheknast oder der Einsamkeit oder dem Gefühl der Bedeutungslosigkeit zu Hause. Sie sind Adrenalinjunkies, die im Chaos aufblühen, sind »teilweise Feuerwehrmann, teilweise Pirat«, wie Tim Robbins treffend beschreibt.
Unterm Strich aber ist der Film voller Sympathie für seine humanitären Helfer. Das bewundernswerte Engagement des Einzelnen ist ja auch höchst ehrenvoll. Dass aber das System der teils millionenschweren Hilfsorganisationen auch verheerende Auswirkungen auf arme Staaten haben kann, spricht der Film nicht an. Das leistete etwa die Doku »Tödliche Hilfe« von 2013: Am Beispiel Haiti sieht man hier, wie Tausende NGOs die Aufbaugelder abgreifen, die Haitianer aus dem Prozess drängen und diese noch ärmer, entwürdigter und arbeitsloser als vor Ankunft der internationalen »Hilfe« wieder zurücklassen.
Doch de Aranoa geht es nicht um die großen Zusammenhänge, sondern um den Augenblick der Aktion. Mit dieser Haltung erklärt er auch den fetzigen Soundtrack aus Ramones, Lou Reed und Marilyn Manson: »Dieser Film ist wie Punkrock - hier gibt es keine Zeit für Sympathie oder Trauer. Man kann nur noch agieren«, erklärt der Regisseur. Man hat streckenweise den Eindruck, der Film, den man im internationalen Kauderwelsch-Original sehen sollte, sei in ähnlicher Hektik entstanden. Ihm haftet mit seinen harten Brüchen und leichten erzählerischen Mängeln etwas Unfertiges an, wie einem ungeschliffenen Diamanten.
Irgendwann platzt dem Dolmetscher Damir (Fedja Stukan) angesichts der sich selber blockierenden UN-Bürokratie der Kragen. »Ihr seid nichts, ihr macht nichts!«, blafft er die UN-Soldaten an. »UN ist gleich United Nothing!«. Das »vereinigte Nichts« wäre auch ein guter Titel für diese schwarze Komödie gewesen. Denn die wohlmeinenden und destruktiven Aktivitäten der Parteien im Nach-Bürgerkriegsland heben sich gegenseitig zum Nichts auf. Und so sind die Luftaufnahmen der beiden sich durch die kurvigen Bergsträßchen Bosniens quälenden NGO-Jeeps die Leitbilder des Regisseurs: Alle Beteiligten (NGOs, UN, Ex-Milizionäre) sind im gleichen labyrinthischen Mikrokosmos gefangen - in einem geografischen und einem geistig-bürokratischen gleichermaßen.
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