Lange Nacht des Dialogs im Kreml
Syriens Präsident Assad erörterte mit seinem Kollegen Putin den Kampf gegen den IS
»Enorme Dankbarkeit« für die Hilfe »bei der Verteidigung der Einheit und Unabhängigkeit Syriens« bekundete Baschar al-Assad, der am Dienstagabend überraschend zu einem Arbeitsbesuch in Moskau einflog, nicht nur der Staatsführung, sondern auch dem russischen Volk. Ohne Moskaus Eingreifen hätte der Terrorismus »weitere, noch größere Gebiete« Syriens erfasst. Auf gemeinsames Handeln mit Russland hoffe er auch bei der »politischen und wirtschaftlichen Wiederherstellung« seines Landes.
Der nächtliche Besuch in Moskau war Assads erste Auslandsreise seit Beginn des Bürgerkriegs vor vier Jahren. Neben Amtskollegen Wladimir Putin traf er auch Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Bei den nächtlichen Verhandlungen, so Kremlsprecher Dmitri Peskow, der die Öffentlichkeit erst am Mittwochmorgen informierte, seien die gemeinsame militärische Strategie im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischen Staat (IS) und die russische Luftunterstützung für Vorstöße der syrischen Armee erörtert worden. Dabei sei es auch um eine Verlängerung des Einsatzes gegangen.
Nicht nur Assads Blitzbesuch in Moskau, schon seine Bitte um Hilfe an Freund Moskau, so glaubt ein mit der Materie bestens vertrauter russischer Diplomat, sei zum Gutteil der Angst vor Freund Nummer zwei geschuldet gewesen: Teheran. Iran nehme Assad zunehmend als Störfaktor bei Plänen wahr, Syrien in eine Halbkolonie zu verwandeln und versuche daher, ihn zu isolieren und allmählich zu entmachten. Eine tragende Rolle würden dabei die iranischen Revolutionswächter spielen, die bereits parallele Machtstrukturen aufbauen. Dazu würden sie vor allem junge Menschen aggressiv bearbeiten, der eher weltläufigen alawitischen islamischen Seitenrichtung abzuschwören, zu der sich der Assad-Clan bekennt, und zur »richtigen Schia« zu konvertieren.
Die Wächter unterstehen Irans geistlichem Führer Ayatollah Ali Chamenei. Staatspräsident Hassan Rohani, der dem »Export der islamischen Revolution« skeptisch gegenüberstehen soll, hat der Elitetruppe nichts zu befehlen.
Moskau braucht Teheran zwar als »Türöffner« für ein Bündnis mit anderen Schiiten-Staaten, verfolgt damit aber eigene Interessen und will Iran deshalb in die Rolle des Juniorpartners drängen. Zumal anderenfalls auch die neuerliche Eskalation alter Rivalitäten um Einfluss im südlichen Kaukasus und in Zentralasien droht.
Auch der Westen, der allein in Syrien weder Chancen für eine militärische noch für eine politische Lösung habe, wisse um Irans Gewicht und könne wählen, mit wem als kleinerem Übel er kooperiert, warnen russische Experten. Das Meeting der sogenannten Core Group der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag in Teheran sei kein gutes Zeichen für Moskau, fürchten Pessimisten. Die derzeit wichtigste Aufgabe der russischen Diplomatie bestehe daher darin, einen Schulterschluss der sunnitischen Staaten gegen Russland zu verhindern.
Andere Beobachter glauben, Moskau werde seine Luftangriffe gegen den IS intensiveren, um Assads einheimischen Verbündeten den Rücken zu stärken. Das sind vor allem Minderheiten wie die Kurden, die vergangene Woche mit dem russischen Außenministerium über eine eigene Vertretung in Moskau verhandelten. Die Türkei reagierte bereits extrem negativ und das könnte auch die geplanten Konsultationen zu einer »realistischen Lösung« der Syrien-Krise stören, die die USA, Russland, die Türkei, Saudi-Arabien und Jordanien vorhaben. Moskau, das Washington politisch seit Wochen vor sich hertreibt, wie hiesige Leitartikler hämen, werde von einer Position der wiedergewonnen politischen wie militärischen Stärke aus verhandeln.
Außenminister Lawrow kündigte gleich zu Beginn der Syrien-Mission auch Luftangriffe gegen IS-Stellungen in Irak an, sollte Bagdad darum ersuchen. Und Franz Klinzewitsch, der Chef des Verteidigungsausschusses im russischen Föderationsrat, trommelt bereits für Luftschläge gegen den IS in Afghanistan. Die US-Amerikaner würden sich dort in ihren Basen einigeln, Einsätze indes nur selten fliegen. Und wenn doch, dann mit »Kollateralschäden« wie in Kundus, wo die Bomben ein Hospital der Organisation »Ärzte ohne Grenzen« zerstörten. Kommentar Seite 4
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