Hitler und der Mufti

Angemerkt

  • Ludwig Watzal
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Behauptung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu, der Großmufti von Jerusalem habe Hitler erst zum Mord an den Juden gedrängt, ist nicht neu, wird aber immer wieder hervorgekramt - vor allem, wenn es politisch passt. In dem 2014 erschienenen Buch »Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East« (Yale University Press) wollten Barry Rubin und Wolfgang G. Schwanitz mit angeblich neuem Archivmaterial belegen, dass Mohammed Amin al-Husseini (1893 - 1974) der Architekt der »Endlösung« gewesen sei. Sein Einfluss auf den »Führer« sei so groß gewesen, dass er diesen an der Leine geführt habe!

Des wissenschaftlichen Skurrilen nicht genug, machen Rubin und Schwanitz den Mufti nicht nur für den Holocaust, sondern auch für die Staatsgründung Israels und den israelisch-arabischen Konflikt verantwortlich, weil jener 1939 das »White Paper« und 1947 den UN-Teilungsplan abgelehnt habe. Sie bauten al-Husseini zu einem »Hyper-Nazi« auf, wohingegen er in Wirklichkeit eher ein Maulheld war, der ab 1941 in Berlin gut lebte.

Rubin war Direktor des interdisziplinären Zentrums für »Global Research in International Affairs« in Herzliya, Israel; er starb im Februar 2014. Schwanitz ist Gastprofessor am gleichen Institut und assoziierter Wissenschaftler am »Middle East Forum« (MEF) in Philadelphia, das 1990 vom Islamkritiker Daniel Pipes gegründet wurde. Rubin/Schwanitz verfolgten mit ihrem Buch eine politische Agenda. Sie meinten, Deutschlands langjährige Förderung von Islamismus und Dschihad nachweisen zu können. Darin fügt sich auch die immer wieder aufgewärmte These vom »Islamofaschismus« ein.

Gewiss, der 1921 vom britischen Hochkommissar für Palästina trotz mangelnder religiöser Ausbildung infolge Studienabbruchs zum Mufti von Jerusalem ernannte al-Husseini war ein militanter Antizionist, Antisemit, panarabischer Nationalist. Die Initiative zum Bündnis mit den Nazis ging von ihm aus; auch warb er Muslime für die deutsche Waffen-SS, der er selbst beigetreten ist. Ihn jedoch zum spiritus rector des Holocaust zu deklarieren, ist absurd. Kein seriöser Historiker lässt sich dazu hinreißen, und das sollten auch Verantwortung über Krieg und Frieden tragende Politiker nicht tun. Ludwig Watzal

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