Karneval der Triebe
Polit-Maler Daniel Richter verlegt sich in der Frankfurter Schirn auf Pornografisches
Die Geister sind fröhlicher geworden. Es waren bizarr verfremdete Darstellungen von gewaltsamen Demonstrationen, Drogenrazzien oder Massenschlägereien, mit denen dem Künstler Daniel Richter um die Jahrtausendwende der internationale Durchbruch gelang. Hoch geschätzt und noch höher gehandelt wurde der Hamburger Alt-Autonome und Ex-Hausbesetzer nicht zuletzt, weil er quasi mit der eigenen Biografie für die Authentizität seiner Krawallmalerei einstand. Meist herrschte in diesen Bildern eine unheimliche Dunkelheit, aus der neonkalte Augenhöhlen und schwankende Gestalten, brennend wie Phosphor, herausleuchteten: die Gespenster der großen Städte.
Körperlos wie Phantome sind die Geschöpfe des Künstlers noch immer, doch ihr Tun und Treiben steht neuerdings ganz im Zeichen der Fleischeslust. »Hello, I love you« nennt der 52-Jährige seinen aktuellen Schaffenszyklus, den die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main erstmals vorstellt.
Von den früheren Werken geblieben ist eine zuckende Farbenergie. Seinen offensiven Blick auf die sozialen Frontverläufe der urbanen Gegenwart aber ersetzt der Maler durch eine forcierte Figurenreduktion, die wenig erzählt und längst nicht mehr so radikal ist, wie es die Marketinglyrik der Schirn verkündet - trotz der provokant pornografischen Posen, die Richter vom iPhone auf die Leinwand geholt hat.
Mit stechenden Gelbtönen und giftigen Grün-Rosa-Kontrasten inszenieren die zweiundzwanzig Exponate der Schau einen Karneval der Triebe. Anonymisierte Silhouettenmenschen mit pflanzenhaft langen Extremitäten verknäueln sich zu akrobatischem Stellungssex zwischen Kamasutra und SM-Studio. Die Andeutungen sind stets eindeutig derb, teilweise plump. Orgiastische Sprühnebel füllen die leeren Farbräume, Hände greifen zwischen Beine, eine Form penetriert die andere oder schickt sich an, es zu versuchen.
Nein, Kuschelsex malt uns der Künstler nicht. Er erkundet die Grenzgebiete von nackter Lust und roher Gewalt. Davon zeugen Werktitel wie »Die Fertiggemachten« oder »Feindselige Blicke«, ein wie zum Karatetritt hochgezogenes Bein und Leiber, die zu dritt jemand zu Boden gezerrt haben. Zombies machen auch mit, aber die besorgen es sich offenbar selbst wie in »Untote Masturbation«. Zentrales künstlerisches Anliegen bei all dem ist das Vorantreiben der Farb-Form-Ekstase ins Ungegenständliche. So verlieren die Teilnehmer der grellen Orgie mit den individuellen Zügen und den Geschlechtsmerkmalen am Ende auch die feste menschliche Gestalt. Übrig bleiben auf einigen Gemälden nur anatomische Puzzlestücke mit rissigen Rändern, als wären es Inseln auf einer Landkarte.
Richter knüpft damit an die abstrakten Anfänge seiner Kunst aus den 1990er Jahren an. Ähnlich wie damals betrachtet er die Bildflächen der Erotikserie auch als Experimentierfeld künstlerischer Techniken. Der Spachtel ersetzt den Pinsel und poröse schwarze Kreidestriche legen sich als grafisch-lineare Elemente über die Malerei. Indes erweist sich die gestische Rotzigkeit, die Richter spätestens durch seinen akademischen Lehrer, den neoexpressiven Altstar Werner Büttner, in die Wiege gelegt wurde, in Frankfurt als ein leerer Programmpunkt, der sich nicht mit Inhalt füllt. Vom gesellschaftlich tabuisierten Sujet abgesehen, fehlen jene Krümmungen und Widerborstigkeiten, die Kunst braucht, will sie sich ins Gedächtnis einhaken. Die einzige Spannung liegt im ästhetischen Kontrast von immaterieller Wolkigkeit und saftiger Zupack-Erotik. Entsprechend schwer tun sich auch die Katalogtexte bei dem Versuch, dem Ganzen Sinn und Zweck abzuringen. Eva Meyer-Hermann glaubt in Richters Porno-Spuk »die problematischen Seiten des Menschseins« zu erkennen, zugleich wertet sie den entfesselten Liebestrieb als eine Allegorie für Kreativität.
Doch solche interpretatorischen Gemeinplätze helfen ebenso wenig weiter wie Richters stilistisches Spiel mit den Kollegen: Aus manchem Maskengesicht grüßt da die Angstfratze von Munchs »Schrei«, während die Horizontlinien der Farbfelder flimmern wie bei Mark Rothko und mancher fragmentierte Leib im Vordergrund entfernt an den Deformationsmeister Francis Bacon denken lässt. Ein Vergleich, den ein Bildtitel wie »Francis, der Fröhliche« noch verstärkt. Spätestens jetzt dämmert dem Besucher, wohin ihn der Künstler entführt hat: in den Swingerclub der Kunstgeschichte.
Bis 17. Januar, Römerberg, Di-So 10-19, Mi, Do -22 Uhr.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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