Konten künftig für alle
Bundesregierung beschließt Gesetzentwurf
Obdachlosigkeit, Überschuldung, Asylbewerberstatus - alles Gründe, die es derzeit fast unmöglich machen, bei einer deutschen Bank ein Konto zu eröffnen. Trotz einer seit 20 Jahren existierenden Selbstverpflichtung der Geldhäuser müssen Hunderttausende Menschen ohne Konto leben - nach Schätzungen der EU-Kommission waren es 2013 fast eine Million bundesweit. Die hohe Zahl verwundert kaum, waren doch zu jener Zeit rund 335 000 Menschen ohne Wohnung und über drei Millionen Haushalte überschuldet.
Für sie gibt es Hoffnung: Am Mittwoch brachte das Bundeskabinett den lange geplanten Gesetzentwurf zum Konto für alle auf den Weg. Mit der Neuregelung, die im Juni 2016 in Kraft treten soll, kann künftig jeder EU-Bürger bei einer Bank seiner Wahl ein Basiskonto eröffnen. Damit können Ein- und Auszahlungen, Lastschriften oder Überweisungen getätigt werden. Kredite müssen Banken den Kunden nicht einräumen.
Mit der Neuregelung setzt die Bundesregierung eine EU-Richtlinie um - sogar ein paar Monate vor Ende der Umsetzungsfrist im September 2016. Seit Jahren hatte die EU bemängelt, dass die deutschen Geldhäuser trotz ihrer Selbstverpflichtung viele Kunden ablehnten. So waren Wohnungslose und Asylbewerber bisher nur von einigen Sparkassen und Volksbanken als Kunden akzeptiert worden.
Die Folgen einer Ablehnung sind weitreichend: »Wer kein Konto hat, hat keine guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt«, erklärte Bundesverbraucherschutzminister Heiko Maas (SPD) am Mittwoch. Auch Vermieter ließen sich kaum auf kontolose Menschen ein. Das Recht auf ein Basiskonto sei ein »zentraler Schritt«, damit alle Menschen »voll am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können«.
Auch Verbraucherverbände zeigten sich erfreut: »Dass das Girokonto für jedermann jetzt kommt, ist ein Meilenstein«, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller. Seit Jahren hatten die Verbände eine Regelung für kontolose Menschen gefordert. EU-weit besaßen im Jahr 2013 offiziellen Angaben zufolge 58 Millionen Bürger kein Konto.
Nicht bei allen sorgt die Neuregelung jedoch ausschließlich für Freude: So kritisierte Caren Lay, verbraucherpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, damit alle das Konto in Anspruch nehmen könnten, müsse es kostenlos und ohne versteckte Gebühren sein.
Bedenken ganz anderer Art äußerten diejenigen, die das Gesetz bald umsetzen müssen - und denen bei Nichteinhaltung Strafen drohen: Die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken etwa können nach eigener Aussage nicht nachvollziehen, warum der Gesetzentwurf über die Vorgaben aus Brüssel hinausgeht. Jürgen Gros, Vorstandsmitglied beim Genossenschaftsverband Bayern, sagte, er halte es für notwendig, die Eröffnung eines Kontos an einen Bezug des Kunden zum Geschäftsgebiet zu knüpfen. Es ergebe keinen Sinn, wenn eine regionale Kreditgenossenschaft Konten für im EU-Ausland ansässige Kunden eröffnen solle, so Gros. Auch der Zeitplan macht ihm Sorgen: Den Banken bliebe weniger Zeit, ihre Computersysteme umzustellen und Formulare anzufertigen.
Viele Betroffene wird das wenig interessieren. Und auch Menschen, die bereits ein Konto haben, können auf Verbesserungen durch das angekündigte Gesetz hoffen: So sollen Kontowechsel künftig innerhalb von zehn Tagen vonstatten gehen, Überweisungsaufträge oder Lastschriftmandate des alten Kontos sollen mitgenommen werden können. Darüber hinaus sollen Gebühren verschiedener Institute transparenter und damit für die Verbraucher besser vergleichbar werden. Kommentar Seite 4
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