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Das bedrohte Bild - das Bild als Drohung

Eine Debatte über Fotografie im digitalen Zeitalter.

  • Frank Schirrmeister
  • Lesedauer: 7 Min.

Den Tag, an dem Espen Eichhöfer, Fotograf der Agentur Ostkreuz, den Auslöser drückte, um eine Passantin auf einer Straße nahe des Berliner Bahnhofs Zoo abzulichten, wird er wohl nicht so schnell vergessen. Das Bild, das dabei entstand, wurde Bestandteil einer Gruppenausstellung der Ostkreuz-Fotografen im Herbst 2013 aus Anlass der bevorstehenden Wiedereröffnung der C/O-Galerie im Berliner Westen. Die Porträtierte erkannte sich auf einem der großformatigen Bilder wieder und verklagte den Fotografen, da sie ihr Persönlichkeitsrecht verletzt sah. Seitdem wogt der Rechtsstreit hin und her und wartet mittlerweile beim Bundesverfassungsgericht auf eine grundsätzliche Entscheidung.

Wie, denken Sie jetzt womöglich, Verfassungsgericht wegen dieser Petitesse? Leider ist es aber keine, vielmehr berührt der Rechtsstreit ein Problem, das seit längerem nicht nur die Fotografen, sondern auch die Verwerter von Fotografie, also Medien, Galerien und Ausstellungsmacher, umtreibt. Die Grundsatzfrage, die dahinter steht, lautet: Wie viel sind uns der öffentliche Raum und die Kunstfreiheit wert und wie weit wollen wir dem Trend zur Privatisierung und Verrechtlichung aller Lebensbereiche folgen?

Diesen Fragen widmete sich kürzlich eine Podiumsdiskussion in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, die vom neugegründeten Ostkreuz-Verein für Fotografie veranstaltet wurde. Zum Auftakt schilderte Ostkreuz-Gründungsmitglied Harald Hauswald die Situation der Straßenfotografie in der DDR, wo es niemanden interessiert hätte, ob eine Kamera auf ihn gerichtet war. Es sei selbstverständlich gewesen, auf der Straße zu fotografieren und die Menschen seien ihm mit einer Offenheit begegnet, die es schon lange nicht mehr gebe.

Innerhalb der letzten zwanzig Jahre haben sich die Bedingungen für die klassische Straßenfotografie dramatisch geändert. Misstrauen ist heute allgegenwärtig, sobald jemand auf der Straße eine professionell aussehende Kamera hebt. Das hat tiefgreifende Konsequenzen und bedeutet letztlich das Verschwinden einer europäischen, lange tradierten Kultur von Öffentlichkeit, wie Georg Diez, Literaturkritiker und »Spiegel«-Kolumnist, in der Diskussion betonte. Wir befänden uns in einem Zeitalter zunehmender Freiheitsfeindlichkeit und eines Kontrollwahns, der das Kulturerbe Straßenfotografie vernichte.

Beispiel gefällig? Nehmen wir die Bilder des Anfang dieses Jahres verstorbenen Will Mc Bride. Der Amerikaner lebte in West-Berlin und schuf mit seinen Aufnahmen ein ikonografisches Bild des jugendlichen Lifestyle in den Sechzigern in der Mauerstadt. In seinen Bildern ist Geschichte verdichtet, sie vermitteln uns ein lebendiges Bild des Lebensgefühls jener Zeit. Nur - heute würden solche Bilder wie die von Teenagern (naturgemäß unter 18 Jahre alt), die ihre Sommernachmittage am Wannsee verbringen (entsprechend den Gebräuchen im Schwimmbad halbnackt) von keinem Fotografen mehr gemacht, denn die Schere im Kopf teilte ihm mit, dass diese Fotos unverkäuflich sind und kein Galerist sie ausstellen würde. Nicht nur wegen der Persönlichkeitsrechte, sondern auch wegen des neuesten Quasi-Verbots aus dem Hause Maas in Folge der »Edathy-Affäre«, Bilder von Jugendlichen unter 18 Jahren herzustellen.

Welche Bilder also hinterlassen wir unseren Enkeln von der heutigen Gesellschaft? Es geht ja nicht nur um die Lebensgrundlage von Fotografen, sondern allgemein um die Frage, wie wir uns später erinnern wollen. Müssen wir den Verlust an Öffentlichkeit und Alltag hinnehmen? Und wie kam es eigentlich zu diesem neuzeitlichen Kontroll- und Verbotswahn? Das sogenannte »Recht am eigenen Bild« existiert schließlich schon seit 1907 mit Verabschiedung des Gesetzes »betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie«. Allerdings bezog sich der Schutz dieses Gesetzes vor unkontrollierter Verbreitung ungewollter und ohne Einwilligung hergestellter Bilder bis zur Jahrtausendwende fast ausschließlich auf Prominente oder anderweitig exponierte Personen. Außerdem gab und gibt es zum Schutz von Fotografie den Begriff der Kunstfreiheit, also das Primat der Kunst über die Interessen einzelner Personen.

Spätestens mit den Caroline-Prozessen Mitte der neunziger Jahre, in denen die durch alle Instanzen klagende Prinzessin von Monaco weitreichenden Schutz vor den Nachstellungen der Boulevardpresse erstritt, fand ein Paradigmenwechsel statt, der für die gesamte Presse erhebliche Einschränkungen in den Möglichkeiten der Berichterstattung brachte. Seitdem haben zahlreiche Urteile der Justiz die Privatsphäre in der Abwägung immer stärker gewichtet, so dass Fachleute heute vom Tod der Straßenfotografie, also dem Beobachten von Menschen mit der Kamera im öffentlichen Raum, sprechen.

Selbstverständlich wäre unsere Zeit nicht die, in der wir leben, ginge es beim Urheberrecht nicht auch um handfeste kommerzielle Interessen. Wussten Sie beispielsweise, dass es böse enden kann, den illuminierten Eiffelturm bei Nacht zu fotografieren und die Bilder zu veröffentlichen? Ein Unternehmen hat sich nämlich die Rechte an der nächtlichen Beleuchtung des Bauwerks gesichert, und so könnte schon das Hochladen eines solchen Bildes bei Facebook eine teure Abmahnung zur Folge haben.

Oder dies: Seit bald zehn Jahren prozessiert die Agentur Ostkreuz stellvertretend für alle Fotografen gegen die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die ebendiese Gärten und Parks nicht mehr als öffentlichen Raum betrachtet, sondern als Eigentum der Stiftung und mitkassieren möchte, wenn dort gewerblich Bilder gemacht werden. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Da ist es in unserer neoliberalisierten Welt nur folgerichtig, dass auch Privatpersonen abkassieren möchten und klagen, wenn sie sich zufällig auf einem Bild wiederfinden, welches ein Fotograf auf einer öffentlichen Straße gemacht hat.

Freilich wäre es ungerecht, den Klägern ausnahmslos Gier zu unterstellen. In einer Gesellschaft, die vom Zwang zur Selbstoptimierung und -vermarktung geprägt ist und die das mit anderen konkurrierende Individuum als höchste Form der Existenz preist, ist es logische Folge, dass man versucht, das veröffentlichte Bild von sich zu kontrollieren, um keinen Wettbewerbsnachteil zu erfahren. Schließlich lesen wir ständig von Geschichten, wo Menschen durch kompromittierende Fotos im Internet bloßgestellt werden.

Womit wir beim Kernpunkt der aktuellen Entwicklung wären. Einen erheblichen Anteil an dem zunehmend hysterischen Umgang mit Bildern hat zweifelsohne das Online(un)wesen. Die Möglichkeit, Daten unbegrenzt zu vervielfältigen und in sozialen Netzwerken zu teilen, verstärkt den Generalverdacht gegen die Fotografie. Zu stark ist die Angst vor dem Kontrollverlust, als dass der aufgeklärte Citoyen sich noch unbefangen in der (digitalen) Öffentlichkeit bewegen könnte. Die Angst vor dem Missbrauch von Daten ist ja auch völlig begründet, wie das Beispiel Facebook zeigt. Der Konzern macht nicht mal einen Hehl daraus, dass er alles, aber auch alles, was auf der Plattform veröffentlicht wird, als sein Eigentum betrachtet. So heißt es in den AGBs: »Du gibst uns eine nicht-exklusive, übertragbare, (...) gebührenfreie, weltweite Lizenz für die Nutzung jeglicher IP-Inhalte, die du auf oder im Zusammenhang mit Facebook postest.« Das heißt im Klartext, dass niemand, dessen Bild auf Facebook gelandet ist, noch irgendeine Art von Kontrolle darüber hat.

Kein Wunder also, dass die Phobie gegen das Fotografiertwerden deutlich stärker geworden ist. Aber was bedeutet das für die journalistische und künstlerische Fotografie? Die Fotografen sind mit diesem Problem weitgehend alleingelassen, Hilfe können sie kaum erwarten.

Die Verunsicherung und Schwächung der traditionellen Medien durch Auflagenschwund und Zukunftsangst tragen nicht dazu bei, dass diese noch ein starker Partner der Fotografen im Kampf gegen ihre immer schwierigere Arbeitssituation sein können. Vom Staat ist gleichfalls nichts zu erwarten, denn die Gesetzentwürfe aus dem Justizministerium verschärfen ja, wie oben erläutert, die Rechtslage eher noch. Die Hörigkeit des Gesetzgebers gegenüber den großen Konzernen wie Google und Facebook trägt ein Übriges dazu bei.

Düstere Aussichten also? Vermutlich wird es auch in Zukunft genügend Fotografen geben, die sich keinen Deut um irgendwelche Rechtslagen scheren und die Bilder machen, die sie im Kopf haben. Die Frage der Zukunft wird sein, ob sie diese dann auch veröffentlichen können oder wir irgendwann in der Zeitung oder auf Nachrichtenportalen nur noch Symbolbilder oder Straßenszenen sehen, auf denen die Menschen von hinten fotografiert sind. Espen Eichhöfer ist auf jeden Fall entschlossen, die Klärung dieser Grundsatzfragen am Beispiel seines Falls vor dem höchsten Gericht herbeizuführen. Dass er die immensen Prozesskosten über eine Crowdfunding-Kampagne innerhalb weniger Tage einsammeln konnte, spricht für die Dringlichkeit dieser Klärung.

Frank Schirrmeister ist Fotograf und arbeitet als Bildredakteur in der nd-Fotoredaktion.

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