Merkel und Seehofer: Transitzonen sind »vordringlichste Maßnahme«
Unionspartein einigen sich auf verschärfte Flüchtlingspolitik / SPD-Chef Gabriel schon nach zwei Stunden wieder weg - Merkel und Seehofer beraten weiter
Update 17.35 Uhr: Merkel und Seehofer einigen sich auf Abschiebezonen
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer haben sich am Sonntag am Sonntag in Berlin nach Mitteilung der Unionsparteien auf ein umfangreiches gemeinsames Positionspapier verständigt, in dem beide Parteien die sogeannten Transitzonen als »vordringlichste Maßnahme zur besseren Kontrolle unserer Grenze« bezeichnen.
Für eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen will die Union den Familiennachzug für einen Zeitraum von zwei Jahren aussetzen. Es geht um Flüchtlinge, die beispielsweise weder nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch nach dem deutschen Grundrecht auf Asyl in der Bundesrepublik bleiben dürfen, aber auch nicht abgeschoben werden können, weil ihnen im Herkunftsland ernsthafter Schaden wie Todesstrafe oder Folter droht. Wie viele Flüchtlinge dies betrifft, blieb zunächst offen.
Als Zugeständnis an Seehofer kann der Plan gewertet werden, zusammen mit Österreich ein gemeinsames Zentrum der Polizeiarbeit in unmittelbarer Nähe der Grenze sowie gemeinsame Polizeistreifen entlang der Grünen Grenze einzurichten. »Schnellstmöglich« solle zwischen Deutschland und Österreich »ein besseres und faires Grenzmanagement« hergestellt werden, heißt es.
Beide Parteien wollen überdies einen einheitlichen Flüchtlingsausweis einführen, der Voraussetzung für Leistungen sein soll. Damit soll die Vielzahl von zeitraubenden Registrierungen bei verschiedenen Behörden gebündelt werden.
CDU und CSU sprechen sich zudem dafür aus, baldmöglichst auf einem EU-Türkei-Gipfel unter anderem über die finanzielle Unterstützung der Türkei sowie die Eröffnung neuer Kapitel in den laufenden Beitrittsverhandlungen zu entscheiden. Zur Bekämpfung der Fluchtursachen wollen beide Parteien das militärische Engagement der Bundeswehr in Afghanistan verlängern. Sie plädieren zudem für ein Rückübernahmeabkommen der EU für Afghanistan und Bangladesch.
Koalitonsrunde ohne Ergebnis vertagt
Berlin. Bei dem Treffen der Spitzen der Koalitionsparteien hat es offensichtlich keine Einigung auf weitergehende Weichenstellungen in der Asylpolitik gegeben. Trotz einer »Vielzahl von inhaltlichen Gemeinsamkeiten« gebe es noch »einige zu klärende bzw. offene Punkte«, hieß es. Daher sollten die Gespräche dazu am Donnerstag vor der Ministerpräsidentenkonferenz fortgesetzt werden, teilte das Bundespresseamt am Sonntag in Berlin mit. Knackpunkt seien unter anderem die von der CSU zuerst verlangten Abschiebezonen. Die SPD ist dagegen, kann sich aber »Einreisezonen« vorstellen.
Nach wochenlangem Streit und den rechten Anti-Asyl-Tönen aus der CSU wollte die Runde eigentlich ein Zeichen der Einigkeit in der Flüchtlingskrise setzen. Gabriel verließ aber schon nach zwei Stunden das Gipfeltreffen der Parteivorsitzenden. Merkel und Seehofer setzten ihre Beratungen fort, hinzu kamen am Sonntagvormittag der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) und die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Die Dreierrunde war ursprünglich auf zwei Stunden angesetzt, weil Gabriel offensichtlich Anschlusstermine hatte.
Die Spitzen von CDU und CSU hatten am Samstagabend knapp fünf Stunden lang vorab beraten. Man sei in der Union auf einem guten Weg, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Ergebnisse wurden nicht bekannt. Unklar blieb daher auch, ob Merkel und Seehofer ihren Streit entschärfen konnten.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Bayerns Ministerpräsident Seehofer und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wollten auch ganz generell beraten, ob und wie die Koalition auf die hohen Flüchtlingszahlen und die zugespitzte Lage an der Grenze zu Österreich reagieren könnte. Seehofer hatte zuletzt ultimativ verlangt, den Flüchtlingszustrom zu begrenzen, und sich dabei wie andere CSU-Politiker auch einer weit nach rechts ausschlagenden Rhetorik bedient.
Gegen die immer schärfer werdende Anti-Asyl-Rhetorik aus Bayern hatten sich zuvor auch Politiker der Koalitionsparteien gewandt. Bundesjustizminister Heiko Maas von der SPD warnte die Union davor, die Stimmung in der Flüchtlingskrise weiter anzuheizen. »Populistischer Krawall löst kein einziges Problem«, sagte Maas der Deutschen Presse-Agentur - ohne CSU-Chef Horst Seehofer dabei beim Namen zu nennen. Es sei an der Zeit, dass sich CDU und CSU zusammenrauften. »Die Menschen erwarten zu Recht von uns, dass wir konzentriert unsere Arbeit machen und alles tun, um die Probleme zu lösen.« NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der SPD rief die Unions-Parteien ebenfalls zu einem konstruktiven Kurs in der Flüchtlingspolitik auf. Die CSU habe mit ihren »unausgegorenen Vorschlägen« zuletzt für große Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt. »Verunsicherung ist ein schlechter Nährboden.«
»Die große Koalition ist erkennbar am Ende«, hatte bereits am Samstag Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt. »Eine ziel- und planlose und überdies hoffnungslos zerstrittene Regierung wird die großen Probleme im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise nicht bewältigen.« Nötig sei eine Regierung, die »endlich Verantwortung übernimmt, statt die Städte und Gemeinden überwiegend allein zu lassen«. Ihr Ko-Chef Dietmar Bartsch hatte zuvor in der »Volksstimme« das »Staatsversagen in Deutschland« und der Europäischen Union kritisiert. Mit Blick auf die Äußerungen aus Bayern sagte Bartsch, »Horst Seehofer spielt mit dem Feuer« und liefere den »Hetzern« von Pegida und AfD noch Stichworte.
Schwarfe Töne schlug unterdessen der Landshuter Landrat Peter Dreier (Freie Wähler) an. Er hat drohte der Bundeskanzlerin damit, Flüchtlingsbusse notfalls vor das Kanzleramt zu schicken. Bei rund einer Million Flüchtlinge in diesem Jahr müsse der Landkreis Landshut rechnerisch etwa 1800 Asylbewerber aufnehmen. »Die nehme ich auf, alle weiteren schicke ich per Bus zum Kanzleramt nach Berlin«, sagte Dreier der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Über die Äußerung Dreiers, der Merkel einen Brandbrief geschrieben hatte, berichtete zuerst die »Welt am Sonntag«.
Merkel, die Dreier nach seinem Brief Mitte der Woche zurückgerufen hatte, habe ihm entgegnet, es brauche mittel- und langfristige Lösungen, die derzeit mit der Türkei und den anderen EU-Staaten gesucht würden. »Wenn Sie mir die Flüchtlinge zum Kanzleramt schicken und ich sie dann nach Griechenland zurückschicke, sind sie übernächste Woche wieder bei uns«, zitierte der Landrat die Kanzlerin. Das sei keine Lösung.
Dreier berichtete, er habe in dem etwa halbstündigen Telefonat mit Merkel dennoch auf kurzfristigen Lösungen beharrt: »Beim Hochwasser vor einem Jahr wussten die freiwilligen Helfer, dass es irgendwann aufhört zu regnen.« Ohne ein klares Signal aus Berlin, dass Deutschland nicht mehr unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen könne, seien die erschöpften Helfer ohne Perspektive. In seinem Appell an die Kanzlerin betonte der Landshuter Kreischef daher: »Frau Merkel, sie müssen auch auf unsere Bürger schauen, weil der innere Friede sonst in Gefahr gerät«. Agenturen/nd
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