Feldversuch mit Flüchtlingen
Auf dem Tempelhofer Feld sollen Unterkünfte entstehen - Bürgerinitiative ist misstrauisch
In den Hangars des alten Tempelhofer Flughafengebäudes sind bereits Flüchtlinge untergebracht, jetzt sollen auch auf dem einstigen Flugfeld Unterkünfte für Flüchtlinge entstehen. Das Problem: Auf dem Gelände darf eigentlich nicht gebaut werden. Bei einem Volksentscheid im Mai 2014 sprachen sich 64 Prozent der Teilnehmer für die Freihaltung der rund 300 Hektar großen Fläche aus. Wollte der Senat etwas daran rütteln, müsste das Abgeordnetenhaus das seitdem geltende Tempelhof-Gesetz ändern.
Angesichts des Flüchtlingsansturms wird in der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) offenbar schon an einer Ergänzung des Gesetzestextes gearbeitet. »Für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte und sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbewerber dürfen bauliche Anlagen einschließlich Einfriedungen innerhalb eines 200 Meter tiefen Geländestreifens am Tempelhofer Damm errichtet und betrieben werden«, heißt es in einem Papier, aus dem die »Berliner Morgenpost« zitierte. Am Tempelhofer Damm hatte der Senat die Errichtung von Wohnungen und der Landesbibliothek vorgesehen, bis er durch den Volksentscheid gestoppt wurde.
Der Vorschlag zur Flüchtlingsunterbringung soll bereits in der jüngsten Senatssitzung besprochen worden sein. Es gehe allerdings nicht um feste Bauten, sondern um Traglufthallen, sagte der stellvertretende Senatssprecher Bernhard Schodrowski. Bei den Überlegungen handele es sich um Eckpunkte eines Gesetzesvorhabens zur Vermeidung von Obdachlosigkeit, worüber unter den Senatsverwaltungen bereits seit längerem einvernehmlich beraten werde.
BUND-Landesgeschäftsführer Tilmann Heuser, der derzeit auch die Bürgerbeteiligung für die Gestaltung des Tempelhofer Feldes koordiniert, warnt den Senat davor, über die Flüchtlingshilfe das Volksgesetz aushebeln zu wollen. »Das würde auf massiven Widerstand der Bürger stoßen«, erklärte er gegenüber »nd«. Der Senat müsse genau erklären, was er auf dem Gelände will. Wenn es um die Errichtung von temporären Einrichtungen wie Traglufthallen gehe, könne er sich jedoch vorstellen, dass dies eher auf Akzeptanz stoße. »Die Initiativen, die sich für die Freihaltung des Feldes engagiert haben und jetzt für seine Gestaltung, sind auch in der Flüchtlingshilfe aktiv«, sagt Heuser. Allerdings gebe die Formulierung zur Gesetzesänderung Anlass zu Spekulationen. Sie ermögliche auch eine längerfristige Bebauung. »Der Senat muss erst mal konkret sagen, was er auf dem Feld will und das mit den Bürgern diskutieren«, fordert der BUND-Chef.
Die Initiative »100 Prozent Tempelhofer Feld«, die den Volksentscheid initiiert hatte, lehnt den Senatsvorstoß ab und sieht darin den Versuch, »die bekannten Begehrlichkeiten« auf das Tempelhofer Feld wieder aufleben zu lassen. »Wird hier mit der Solidarität der Berliner mit den Flüchtlingen gespielt, um das Volksgesetz zu kippen?« heißt es in einer Erklärung. Dass es nur um temporäre Bauten geht, wird bezweifelt. »Für eine Zwischenlösung müsste der Senat nicht Paragraf 5 des Gesetzes, sondern Paragraf 7 ergänzen, in dem die Errichtung von ›fliegenden Bauten‹ geregelt ist. Für diese brauchte man nicht mal eine Baugenehmigung«, sagt Michael Schneidewind von »100 Prozent Tempelhof«. Auf dem Tempelhofer Feld würde man allerdings die Probleme der Flüchtlinge nicht lösen, sondern nur vergrößern, so die Initiative mit Verweis auf die fehlende Infrastruktur.
Auch die Grünen forderten den Senat auf, die Flüchtlinge nicht gegen den Volksentscheid auszuspielen. Fraktionschefin Antje Kapek hält allerdings eine Unterbringung in Traglufthallen entlang des Tempelhofer Damms, aber außerhalb des Feldes, für denkbar. Wofür dann auch nicht das Tempelhof-Gesetz geändert werden müsste. LINKE-Landeschef Klaus Lederer hegt den Verdacht, »dass es dem Senat weniger um die menschenwürdige Unterbringung geflüchteter Menschen als vielmehr darum geht, seine Niederlage beim Volksentscheid nachträglich in einen kleinen Sieg umzuwandeln.« Er sollte seine Kraft besser darauf konzentrieren, die vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten zu nutzen, verlangt Lederer und verweist auf leerstehende öffentliche Bauten wie das Haus der Statistik am Alex.
Der Verein »Mehr Demokratie« hält die Idee des Senats für »nachvollziehbar«, aber der Entscheid dürfe nicht einfach gekippt werden, sondern nur über ein neues Referendum: »Die Bürger müssen erneut die Möglichkeit zur Abwägung und Diskussion bekommen.«
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