Gute Freunde trennt niemand
Was heißt Freundschaft im flexiblen Kapitalismus? Ein Gespräch mit Susanne Lang über Ideal und Wirklichkeit, Frauen und Männer - und die Gefahren des Netzwerkens
Susanne Lang studierte in Münster Germanistik, Kultur- und Kommunikationswissenschaften. Danach besuchte sie die Deutsche Journalistenschule in München. Ab 2003 arbeitete sie als Redakteurin, später als Ressortleiterin bei der »taz«. Anschließend wurde sie verantwortliche Redakteurin beim »Freitag«, heute arbeitet sie für das Familienmagazin »Nido«. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Berlin. An diesem Ort hält sie nicht nur die Familie, sondern auch der Freundeskreis. In ihrem Buch »Ziemlich feste Freunde« (Blanvalet Verlag, 192 S., geb., 16,99 €) berichtet die Journalistin unterhaltsam von ihren persönlichen Erfahrungen mit Freundschaft ebenso wie vom Wesen dieser platonischen Liebe. Mit Susanne Lang sprach Christian Baron.
Frau Lang, was hat Freundschaft mit Liebe zu tun?
Es gibt einige Parallelen zur romantischen, aber auch zur familiären Liebe. Die wichtigste: Freundschaft hat viel mit Vertrauen zu tun, mit Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Michel de Montaigne hat schon im 16. Jahrhundert in seiner Schrift »Von der Freundschaft« beschrieben, wie dieses Beziehungsmodell auf einer tiefen, seelischen Vertrautheit zwischen Menschen beruht, die einer »Verschmelzung« gleichkomme. Er geht sogar so weit, dass er ein ihm von einer anderen Person anvertrautes Geheimnis seinem Freund mitteilen dürfe, denn »er ist ich«. Für Montaigne ist Freundschaft vom Schicksal bestimmt und darum in ihrer Exklusivität einzigartig.
Montaigne hat die Freundschaft romantisch idealisiert. Wie aber kann sie erfüllend sein in einer Zeit, in der gerade wir Jüngeren immer häufiger den Arbeitgeber wechseln und dafür alle paar Jahre in eine neue Stadt ziehen müssen?
Das ist gar nicht so einfach. Die Soziologin Marla Paul spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer »Krise der Freundschaft«. Es ist, sagt sie, zu einem Problem geworden, nach der Jugend noch Freunde zu finden und sie zu halten. Weil Freundeskreise heutzutage räumlich weit verteilt sein können, blieben nur die über einschneidende gemeinsame Erfahrungen gefestigten Freundschaften auf Dauer erhalten. In der Lebensphase zwischen 30 und 40 Jahren, die der Soziologe Hans Bertram so treffend als »Rushhour« bezeichnet, wird es schwerer, Familie, Beruf und Freundschaften zu vereinbaren. Freunde erscheinen oft als die schwächsten Glieder in der Kette, denen schuldet man am wenigsten und ist zu nichts verpflichtet.
Schiller schrieb im 18. Jahrhundert über seinen besten Freund Goethe: »Dem Vortrefflichen gegenüber gibt es keine Freiheit als die Liebe.« Ist diese intellektuelle Freundschaft heute nur noch ökonomisch unabhängigen Freigeistern möglich?
Ich weiß gar nicht, ob dieses Freundschaftsbild überhaupt jemals wirklich realistisch war. Goethe und Schiller lebten in einer Zeit des Freundschaftskultes, in dem man sich auf das Ideal aus antiken Dramen besann: der edle Freund, der sich für seinen Gefährten in den Dolch stürzt. Sicher wirkt diese Konnotation der Freundschaft als aufopferungsvolles Treuebündnis noch immer als Sehnsucht weiter, aber niemand würde doch ernsthaft so viel Altruismus von seinem Freund verlangen. Heute haben Männer eher gute Kumpel.
Haben es Männer schwerer, emotionale Freundschaften zu pflegen?
Wir bewegen uns da nah am Klischee, aber die anerzogenen Rollenbilder zeigen bei Männern und Frauen eine große Wirkung. Viele Jungs werden mit dem Ziel sozialisiert, sich emotional von ihrer Mutter zu distanzieren und damit von allem, was sie als mütterlich verstehen: Empathie, Weichheit, Rückzug. Wenn dann später doch solche Gefühle in einem Mann aufkommen, empfinden das viele unbewusst als Niederlage. Das ist der Grund, weshalb Männer sich so gut mit den einander bedingungslos treuen Kriegern Asterix und Obelix identifizieren können, nicht aber mit den herzlichen und emotionalen Ernie und Bert aus der »Sesamstraße«.
In Fernsehserien und Filmen erscheint die Frauenfreundschaft als das genaue Gegenteil: Vor allem der eingeschworene Haufen in der Serie »Sex and the City«, in dem sich vier Frauen aus der gehobenen Mittelklasse gegenseitig über ihre Liebschaften hinwegtrösten, erscheint als perfekte Freundschaft der Postmoderne: Beherrschen Frauen diese Beziehungsform besser als Männer?
Zumindest gestalten sie ihre Freundschaften empathischer. An »Sex and the City« mag viel realitätsfern sein, manche Aspekte aber decken sich mit Forschungsergebnissen: Frauen sind etwa häufiger als Männer bereit, mehrere beste Freundinnen im Leben der Anderen zu respektieren, weil sie Freundschaft nicht exklusiv, sondern qualitativ verstehen. Sie brauchen dieses »Geht mir genauso«-Gefühl in ihrem sozialen Umfeld. Und Krisen entstehen in Frauenfreundschaften vor allem dann, wenn ein Mann oder ein Kind dauerhaft in das Leben der besten Freundin eintritt.
Wenn Liebesbeziehungen enden, heißt es oft: »Lass uns Freunde bleiben.« Gibt es wirklich diese »Bromance«, die aus Liebesbeziehungen hervorgeht?
Aber ja, sogar häufiger, als man denkt! Die Sozialpsychologin Ann Elisabeth Auhagen kam in ihren Studien auf einen Anteil von 30 Prozent solcher Freundschaften. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass unsere Elterngeneration noch mit einer Grundskepsis gegenüber dem anderen Geschlecht erzogen wurde. Da hieß es: Habt acht vor Männern, die wollen doch immer nur das Eine! Unter Männern wiederum galt jemand, der wie Willi zu Biene Maja eine platonische Freundschaft mit einer Frau einging, als schwuler oder bestenfalls verweichlichter bioökonomischer Versager. In dem Film »Harry und Sally« spielen Billy Crystal und Meg Ryan ein Paar, das sich nur romantisch lieben oder abgrundtief verachten, nicht aber »nur« befreundet sein kann. Das spiegelt das gängige Bild von der unmöglichen Freundschaft zwischen heterosexuellen Männern und Frauen wider. Irgendwie, suggeriert der Film, kommt doch immer die Liebe dazwischen.
In der Realität hat sich das offenbar geändert.
Ja, weil es zum Glück zu einem Wandel der Umgangsformen zwischen den Geschlechtern gekommen ist. Das kann man durchaus als positive Begleiterscheinung des liberalen, flexiblen Kapitalismus verstehen: Die »milden Kerle« treffen mittlerweile auf emanzipierte Frauen. Und sie treffen immer öfter aufeinander. Auch wenn es in dieser Hinsicht noch viel Nachholbedarf gibt, arbeiten heute mehr Frauen mit Männern gemeinsam in Unternehmen, Projektgruppen oder Büros. Sie treffen aber auch nachmittags in Elternzeit befindliche Väter auf dem Spielplatz. Besonders für Frauen sind Freundschaften zu Männern häufig wichtig. Vom besten Freund lässt man sich bestimmte Dinge eher sagen als vom Partner. Dadurch entsteht eine ganz andere Form der Intimität.
Eine neue Form der Intimität sind auch Onlinekontakte. Wie gefährlich ist es aus sozialer Sicht, wenn jeder 300 Facebook-Freunde hat?
Internetkontakte sind sicher tendenziell oberflächlicher, aber der technische Fortschritt bietet auch die Möglichkeit, dass man mit seinen engeren Freunden in Kontakt bleibt. Die Menschen sind in prekären Zeiten wie diesen verunsichert. Darum knüpfen viele online neue Netzwerke, aber sie vertrauen der Technik nicht blind. Gerade Jugendliche gehen immer vorsichtiger mit ihren Daten um, wie neueste Forschungsergebnisse zeigen. Dadurch werden die echten Freunde umso wichtiger.
Und die begegnen uns offenbar an immer mehr Orten. Sie bezeichnen etwa Freunde am Arbeitsplatz als »Frollegen«. Was hat es damit auf sich?
Eigentlich ist es doch toll: Kollegen werden zu Freunden! Ich habe selbst schon in verschiedenen Redaktionen als Journalistin gearbeitet. Von manchen Kollegen wusste man schon nach dem ersten Tag, wie sie ihren Kaffee trinken und warum sie die Nespresso-Kapsel trotzdem benutzen - obwohl sie ein schlechtes Ökogewissen dabei haben. Bei einem neuen Partner dauert es manchmal bis zur ersten gemeinsamen Nacht, ehe man in solche Gewohnheiten und Schwächen eingeweiht wird.
Sind Freundschaften am Arbeitsplatz nicht überwiegend beziehungsopportunistisch?
In der Arbeitswelt tummeln sich tatsächlich sogenannte Coaches, die im Auftrag des Arbeitgebers gezielt die zwischenmenschliche Beziehung von Arbeitnehmern verbessern sollen. Sie nennen das dann »Leistungskollektiv«, das über einen Leistungsauftrag hinaus eine »sinnstiftende Kulturgemeinschaft von Begabten« bilden soll. Da sehe ich die Gefahr, dass eine angenehme Entwicklung verzerrt und ausgenutzt wird und sich letztlich nur noch den Gesetzen der Effizienz unterordnet. Ich liebe den Feierabendwein mit ausgewählten Kollegen. Manchmal erzähle ich ihnen dabei sogar Privates. Andererseits frage ich mich, was bleibt, wenn man die Arbeit als Thema und Gemeinsamkeit abzieht. Der Zukunftsforscher Horst Opaschowski spricht schon nicht mehr von der berühmten »Work-Life-Balance«, weil die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben gezielt so verwischt werden, dass die Beschäftigten oft den Arbeitsplatz als attraktiver empfinden als das Zuhause.
Dass Menschen in ihrer Arbeit aufgehen und zugleich privat eng befreundet sind, wie es bei den genialen Komikern Stan Laurel und Oliver Hardy der Fall war, ist also eine Illusion?
So weit würde ich nicht gehen, aber es wird zunehmend schwerer, Grenzen zu ziehen. Für die Zukunft bin ich da aber optimistisch: Opaschowski sagt, eine der nachhaltigsten Ressourcen werde künftig die Solidarität zwischen den Generationen sein. Wenn die ökonomische Kraft sinke, wie es gerade in weiten Teilen der Welt geschehe, dann müsse der Wert einer Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit gestärkt werden. Individuelles Glück werde sich dann darüber definieren, wie beziehungsreich wir unser Leben gestalten. Bei all den sozialen und ökonomischen Veränderungen sind Freundschaften ohnehin schon heute eine der größten Investitionen, die wir eingehen können - aber auch eine der erstrebenswertesten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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