Britannien will mehr Freiräume

Premier Cameron präsentierte Bedingungen für Verbleib in der Europäischen Union

  • Meike Stolp, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Cameron fordert von der EU mehr Freiheiten für Großbritannien und andere Länder. Neben dem Zugang zum Binnenmarkt sieht er auch die Kürzungen bei Sozialleistungen als Voraussetzung für einen Verbleib.

Großbritannien steht vor einem Scheideweg, zumindest was den Verbleib des Landes in der Europäischen Union angeht. Es gibt starke Kräfte, die für einen Austritt mobil machen, aber ebenso stark sind die Befürworter des Verbleibs. Bis 2017 sollen die notorisch europascheuen Briten in einem Referendum darüber abstimmen. Und Premierminister David Cameron hat am Dienstag Bedingungen für einen Verbleib definiert.

Die Umfragen sehen zumindest zurzeit nur einen knappen Vorsprung für die EU-Befürworter. Der Ausgang des Referendums ist also offen. Entscheidend werden dabei die Verhandlungen über EU-Reformmöglichkeiten sein. Cameron hat die britischen Vorstellungen in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk konkretisiert. Der polnische Politiker bestätigte den Eingang des Schreibens und kündigte für kommende Woche bilaterale Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten und dem Europäischen Parlament an.

Es sind im Prinzip vier Kernpunkte, von denen der britische Premierminister einen Verbleib seines Landes im Staatenverbund abhängig machen will. Diese erklärte er in einer Rede beim Außenpolitikinstitut Chatham House in London: Cameron forderte zum einen, den vollständigen Zugang von Großbritannien und anderen Nicht-Euro-Ländern zum EU-Binnenmarkt zu erhalten. Die EU müsse sich zur Wettbewerbsfähigkeit bekennen, sie gehöre »zur DNA der gesamten Europäischen Union«.

Weiter sprach er sich für eine Ausnahme Londons von weiterer Vergemeinschaftung aus. Die Vielfalt der Nationalstaaten sei Europas größte Stärke, die Lösung für jedes Problem sei aber nicht immer Europa. Manchmal sei weniger Europa die richtige Lösung. Die britische Regierung schlage zwar kein Vetorecht für jedes einzelne nationale Parlament vor, sagte Cameron. »Aber wir wollen Neuregelungen sehen, nach denen sich Länder zusammentun können und europäische Gesetze ablehnen dürfen, die nicht ihren nationalen Interessen entsprechen.«

Der vierte Forderungskomplex betrifft die Möglichkeit, einige Sozialleistungen für EU-Ausländer zu kürzen. Migranten aus der Union sollten laut Cameron keine Leistungen beantragen dürfen, während sie auf Arbeitssuche sind. Über 40 Prozent der Zugewanderten, die in den vergangenen vier Jahren nach Großbritannien gekommen sind, werden laut einer neuen Studie des Arbeitsministeriums durch das Wohlfahrtssystem unterstützt.

Cameron war so vorsichtig, weder seine EU-Partner noch die eigenen Landsleute zu verprellen. Die Verhandlungen über die EU-Reformwünsche Großbritanniens sollen keine »unmögliche Mission« sein, sagte er bereits vor der Bekanntgabe der konkreten Reformwünsche. Diese Aussage ist ein Signal an die europäischen Kollegen, dass Großbritannien verhandlungsbereit ist und Cameron es bevorzugen würde, dass sein Land weiterhin Mitglied bleibt. Doch darüber hat er nicht zu entscheiden, sondern seine Landsleute. Und auch die galt es zu beruhigen und ihnen einen Verbleib schmackhaft machen.

Sollte er sich in Brüssel durchsetzen, sei er auch in der Lage, bei einem Referendum über einen Verbleib Großbritanniens in der EU zu einem Ja aufzurufen. Cameron selbst machte auch in seiner Rede noch einmal deutlich, dass er einen Verbleib in der EU favorisiere. Die Frage ist allerdings selbst innerhalb seiner eigenen Regierung umstritten.

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