Liebe und Intrigen nach Noten
Auch die Opernhäuser in Leipzig und Hamburg setzen auf Mozarts »Le nozze di Figaro« - und liegen damit richtig
So richtig falsch machen kann man bei Mozarts und DaPontes »Le nozze di Figaro« eigentlich nichts. Es genügt schon, auf die Komödie zu vertrauen. Hier hat jeder seine Chance, sich in Szene zu setzen. Ganz gleich, ob Graf oder Gräfin, ob Friseur oder Zofe, ob Anwalt oder Gärtner. Und natürlich jener junge Bursche, der schon mit seinem Namen Cherubino für die Liebe steht. Hinzu kommt, dass man sich in die Musik fallen lassen kann. Dafür sorgen in Leipzig Matthias Foremny mit dem bestens aufgelegten Gewandhausorchester und in Hamburg Ottavio Dantone mit dem nicht ganz so mozartpräzisen Philharmonischen Staatsorchester.
Nach Jürgen Flimms Berliner Wohlfühlvariante dieses Schmuckstücks eines jeden Spielplans haben also Leipzig und Hamburg nachgezogen. Dabei kommt Leipzig dem Berliner Ausflug in die komödiantische Sommerfrische am nächsten. Der im Musical heimische Regisseur Gil Mehmert setzt auf die Komödie. Auch hier reist die Gesellschaft um den Grafen zu Beginn an. Aber nicht wieder ab. Sie bleiben am Ende da - mehr oder weniger im Status quo ihrer jeweiligen Beziehungen. Scheidung kommt auch bei Graf und Gräfin nicht in Frage. Man belässt es bei wütenden Blicken und dem gewahrten Schein. Rosina weiß schon lange, worauf sie sich eingelassen hat. Sie hätte inzwischen einigen Grund, auf die Barrikaden zu gehen, denn ihr smarter Almaviva versucht mit aller Energie, seinen Ruf als Aufreißer zu bedienen und zugleich die Fassade der Ehrbarkeit und Treue (vor allem seiner Ehefrau) zu wahren. Mozart kannte halt die Frauen. Und die Männer.
Wie bei DaPonte und Mozart (bzw. dem Lieferanten der Vorlage Beaumarchais) liegt die Revolution noch in der Ferne, aber in der Luft. Und zwar die Große der Franzosen, bei der die Beziehung zwischen Herr und Diener neu geordnet werden sollten. Bei der Variante in Leipzig wirft eher die 68er Revolte, inklusive ihrer sexuellen Neuordnung der Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, ihre Schatten voraus. Da wissen wir im Saal mehr als das Personal auf der Bühne. Die kommen, von woher auch immer, in ihr nobles Rokokoschloss mit dem Komfort der 60er. So jedenfalls die Fassade auf dem Gazevorhang und die üppigen drei Etagen, die Jens Kilian dahinter gebaut hat. Oben die Schlafzimmer der Herrschaften, die Unterkünfte fürs Personal in Reichweite, in der Mitte eine ganze Galerie von Wandschränken, unten ein Foyer zwischen den Freitreppen, in dem sich gut feiern und intrigieren lässt. Und das genügend Platz bietet für das große Hochzeitsbett und später für ein paar Hecken für das Verwirrspiel im nächtlichen Garten. Das funktioniert präzise entlang der Geschichte.
Auch in Hamburg setzt Stefan Herheim auf die Komödie - doch er erfindet sie aus dem Geist der Musik kurzerhand neu. Und zwar ganz wortwörtlich aus der Musik, quasi aus jeder Note. Sein Personal taucht in die Noten ein, macht sie lebendig, bringt sie zum Explodieren. Auf der Bühne von Christoph Hetzer gibt es weder Schloss noch Zimmer oder Garten. Hier ist die ganze Welt Musik, ist der imaginäre Einheitsraum mit Noten tapeziert, und wenn die zum ersten Finale alle herunterfallen, dann ist auch das Gitter, das sie hielt, ein Käfig aus Notenlinien. Bei Herheim wird Mozarts Musikgenie sozusagen direkt zur Szene. Und wie man Mozarts frivole Natur aus seinen Briefen so kennt, liegen sowohl die Metamorphose von Noten zu jagdlustigen Spermien im wunderbaren Ouvertüren-Video von fettFilm, als auch der direkte Griff der Frauen an die Männlichkeit ihrer Verehrer auf der Linie von dessen Übermut. Herheim hat einen perfekt durchchoreographierten Volltreffer gelandet.
Musikalisch freilich bleiben vor allem in Hamburg Wünsche offen. Leipzig hat mit Sejong Chang und Mathias Hausmann die mit Abstand besseren vokalen Karten für das berühmte Tänzchen zwischen Figaro und seinem Grafen, als Hamburg mit Wilhelm Schwinghammer und Kartal Karagedik. Auch bei den Damen überzeugt Olena Tokars Susanna in Leipzig mehr, als Katerina Tretyakova. Beiden Gräfinnen sei zugute gehalten, dass sie gegen Dorothea Röschmann (in Berlin) eh keine Chance haben. Wallis Giuntas Cherubino bleiben vom Leipziger und die Barbarina von Christina Gansch vom Hamburger Ensemble im Gedächtnis.
Nächste Vorstellung in Leipzig am 18.11., in Hamburg am 17.11.
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