Prozess wegen Misshandlung in einer Sekte
Nördlingen. Als Lehrer soll er bei der umstrittenen Sekte »Zwölf Stämme« Kinder geschlagen haben. Nun steht der 54-Jährige vor dem Amtsgericht in Nördlingen. Der Prozess wurde am Montag zur Bühne für einen heftigen Schlagabtausch zwischen den beiden Verteidigern einerseits und dem Staatsanwalt und der Richterin andererseits. Ein Urteil soll frühestens am kommenden Montag verkündet werden, eventuell auch erst im Dezember.
Der Mann wird beschuldigt, vor circa neun Jahren einen damals etwa 14 Jahre alten Schüler mit einer mehr als einen Meter langen Rute ein halbes Dutzend Mal auf den Hintern geschlagen zu haben. Der Angeklagte weist alles zurück: »Die ganze Sache ist absolut aus der Luft gegriffen.« Weitere Angaben macht er nicht, denn den Vorfall habe es nie gegeben, führt sein Rechtsanwalt aus.
Der Schüler von damals ist heute 23 Jahre alt und hat schon mehrfach Interviews zu den Prügelstrafen bei den »Zwölf Stämmen« gegeben. Vor Gericht wirft er den Lehrern vor, häufig Kinder geschlagen zu haben. Sie hätten den Kindern »so, wie sie gerade lustig waren, auf den Hintern gehauen«, so der Zeuge. »So ist es tagein, tagaus gewesen.« Auch der Angeklagte habe ihn mehrfach geprügelt. Wenn ein Kind im Unterricht unaufmerksam gewesen sei oder mit dem Tischnachbarn geredet habe, habe es Schläge gegeben.
Die Verteidiger Michael Langhans und Hans-Walter Forkel wollten den 23-Jährigen und seine ebenfalls als Zeugen geladenen Eltern als unglaubwürdig erscheinen lassen und warfen ihnen mehrfach falsche Angaben vor. Dies brachte Richterin Miriam Schmitt-Wüstenhagen und Staatsanwalt Matthias Ernst immer wieder in Fahrt.
Bereits in der Vergangenheit liefen ähnliche Strafverfahren gegen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft. Drei Mütter sind in Nördlingen schon zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, zwei Verfahren sind aber noch nicht rechtskräftig. Weitere Prozesse sollen folgen.
Der 54-Jährige sollte eigentlich auch nicht allein vor Gericht stehen, aber bei der Zustellung der Anklage gab es bei zwei Mitangeklagten Schwierigkeiten: Die Männer sind wohl ins Ausland gezogen. Die »Zwölf Stämme« haben angekündigt, Deutschland den Rücken kehren zu wollen, weil sie sich hier verfolgt fühlen.
Ins Rollen kamen die Ermittlungen, als die Polizei im September 2013 rund 40 Kinder aus den Gemeinschaften der Sekte im schwäbischen Klosterzimmern und im mittelfränkischen Wörnitz holte. Die Eltern wehrten sich vor den Familiengerichten gegen die Wegnahme ihrer Töchter und Söhne. Manche hatten damit Erfolg, andere nicht. Ein Teil dieser Sorgerechtsverfahren beschäftigt die Gerichte immer noch.
Nach den Ausführungen von Aussteigern ist es die »Allgemeine Lehre« der Sekte, dass Kinder gezüchtigt werden müssen. Nachdem die Mitglieder sich lange geweigert hatten, ihre Kinder in staatliche Schulen zu schicken, wurde ihnen vom bayerischen Kultusministerium zeitweise sogar der Betrieb einer eigenen Schule in Klosterzimmern genehmigt. Inzwischen wurde diese Genehmigung zwar widerrufen, doch der Prozess wirft die Frage auf, wie die Behörden jemals der Glaubensgemeinschaft eine Schulerlaubnis ausstellen konnten. Denn laut Zeugen mussten Lehrer dort nicht über ein Fachstudium verfügen - sie wurden einfach vom »Ältestenrat« bestimmt. dpa/nd
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