Der Koloss von Zittau soll weg

Um den geplanten Abriss einer historischen Kaserne gibt es Streit in der sächsischen Stadt - es geht ums Prinzip

  • Miriam Schönbach, Zittau
  • Lesedauer: 4 Min.
Die imposante Mandaukaserne ist derzeit Zittaus größtes Sorgenkind. Die Verwaltung will den seit 20 Jahren verfallenden Denkmalbau abreißen, doch inzwischen ist ein Grundsatzstreit entbrannt.

Der gigantische Bau wirkt ein wenig wie ein verwunschenes Dornröschenschloss: Zwei Türme mit Zinnen ragen in den Himmel - wie die Bäume, die seit Jahren auf dem Dach wachsen. Statt einer Rosenhecke begrenzt allerdings ein Bauzaun aus Metall das Areal der Zittauer Mandaukaserne.

Das verfallene, einstige Mannschafts- und Stabsgebäude ist derzeit das größte Sorgenkind der ostsächsischen Stadt - und des neuen Oberbürgermeisters Thomas Zenker von der Wählervereinigung »Zittau kann mehr«. Er sieht keine Alternative zu einem Abriss, vor allem wegen herabstürzender Bauteile. »Die Gefahr wird immer größer«, stellte Zenker jüngst bei einem Bürgerforum im Zittauer Rathaus nüchtern fest.

Gegen die Pläne sträuben sich zahlreiche Zittauer und Besucher. Rainer Danzig aus Oybin ist regelmäßig als Stadtführer im Dreiländereck unterwegs und kritisiert: »Beim Abreißen von Gebäuden war Zittau immer schnell. In den vergangenen 25 Jahren verschwand hier 13 Mal mehr alte Bausubstanz als durch den Zweiten Weltkrieg.« Um den Erhalt des Zittauer Kolosses kämpft seit sechs Jahren auch der Verein »Freunde der Mandaukaserne«. Aber auch sie können den fortschreitenden Verfall nicht übersehen.

Den Zustand des knapp 150 Jahre alten Gebäudes begutachtete im August ein Statiker im Auftrag der Stadt. Seine Einschätzung sei ernüchternd, berichtet Zenker. »Der Südturm droht einzustürzen, die Decken ab dem zweiten Obergeschoss sind nicht mehr tragfähig, die Zinnen liegen demnächst am Boden.« Eine Notsicherung würde zwei Millionen Euro kosten. Die ist nur sinnvoll, wenn es ein tragfähiges Nutzungskonzept gäbe. Doch das fehlt immer noch.

Den imposanten Bau errichtete der Zittauer Stadtbaumeister Emil Trummler. 1200 Soldaten zogen nach der Fertigstellung im Jahr 1869 in die Unterkunft. In dem modern ausgestatteten Garnisonsgebäude gab es eine Zentralheizung, Dampfküche sowie getrennte Wohn- und Schlafräume. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verließ das Militär das Haus. Stattdessen lebten ab 1920 in vier Stockwerken bis zu 109 Familien - mit vier Trinkwasserzapfstellen pro Geschoss und fünf Waschküchen. In der DDR kümmerte sich die Kommunale Wohnungsverwaltung Zittau um das Haus, das seit 1983 unter Denkmalschutz steht. Die letzten Mieter verließen vor gut 20 Jahren den Koloss. Dann folgte der Verfall. Der Freistaat veräußerte das Gebäude Ende der 1990er Jahre nicht wie gewünscht an die Stadt Zittau, sondern versteigerte es an den Meistbietenden. Es folgten Investoren mit vielen Ideen: Eine Gehörlosenschule sollte daraus werden, ein Einkaufscenter oder auch eine Seniorenresidenz. Passiert ist bis heute nichts. Im Vorjahr kam der Bau ein weiteres Mal in neue Hände.

Diesen Eigentümer vertritt inzwischen eine Verwaltergesellschaft. Nun will Zittau das 13 000 Quadratmeter große Grundstück samt Kaserne kaufen, um den Komplex mit Hilfe von zwei Millionen Euro Fördermitteln vom Land abzureißen. Die Stadtverwaltung hat auch andere Szenerien zum Erhalt durchgespielt. Eine Notsicherung würde demnach die gleiche Summe kosten; zahlen müsste die Stadt. Investitionen für andere wichtige Denkmalprojekte innerhalb der Altstadt müssten womöglich verschoben oder ganz gestrichen werden. Die Kosten für eine Sanierung werden mit 20 bis 25 Millionen Euro veranschlagt.

Diese Summe hätte ein glaubwürdiger, privater Investor einbringen müssen. Denn der städtische Haushalt, so macht Stadtrat Thomas Krusekopf klar, ächzt unter einem Haushaltsdefizit von 2,5 Millionen Euro sowie einem Investitionsstau von 6,5 Millionen Euro bei Schulen und Kindergärten. Am Donnerstagabend wollten sich die Zittauer Abgeordneten erneut dem Thema widmen.

Einen Aufschub im Interesse des »einzigartigen Neoklassizismus-Baus« wünscht sich auch René Nestler, Vorsitzender des Vereins »Freunde der Mandaukaserne«. »Wir müssen gemeinsam nach Nutzungskonzepten suchen und einen zweiten Magneten neben den berühmten Fastentüchern nach Zittau holen«, sagt er. Ihm schwebt etwa ein Modelleisenbahn-Land wie in der Hamburger Speicherstadt vor.

Patricia Bennett dagegen will die Mandaukaserne gleich ganz von der Stadt kaufen und dort in den kommenden fünf Jahren einen »Louvre für zeitgenössische Kunst« einrichten. Das Geld für die Sanierung des Riesengebäudes will sich die Neu-Zittauerin zum großen Teil von privaten Investoren holen.

Vielen Zittauern gefällt der Vorschlag, Thomas Zenker aber will erst Zahlen und ein Nutzungskonzept sehen. Auch ihn würde der Abriss schmerzen. Gleichzeitig sieht er das Potenzial einer neuen Brachfläche. »Das Grundstück liegt unweit der Innenstadt, in der Nähe der Grenze zu Polen und Tschechien direkt an der Straße.« Genau solche Gebiete fehlten in der Stadt für ansiedlungswillige Firmen. dpa/nd

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