Kampf um die Köpfe
Eine Denkfabrik der NATO entwickelt mit deutschen Journalisten und Wissenschaftlern neue Propagandatechniken
Kalkar am Niederrhein: 13 685 Menschen leben in dem beschaulichen Ort mit dem mittelalterlichen Stadtkern unweit der niederländischen Grenzen. Auf der Website der Stadt wird über die aktuelle Flüchtlingssituation und eine Adventsausstellung informiert, am kommenden Wochenende gibt es einen Nikolausmarkt - nichts Ungewöhnliches dieser Tage. Kalkar ist eine unauffällige deutsche Kleinstadt. Nur ein eingezäuntes Areal, das sich abgeschottet hinter Bäumen im Südwesten der Stadt anschließt, passt nicht so recht ins Idyll. Es ist das Hauptquartier des »Zentrums Luftoperationen« der Bundeswehr. Von hier aus werden die deutschen Luftstreitkräfte dirigiert, bei Übungen im Inland, aber auch bei Einsätzen im Ausland. Für die NATO übernimmt das Bundeswehr-Zentrum diese Aufgabe sogar vom Atlantik bis nach Russland. Und auch den Weltraum haben die Militärs von Kalkar aus im Blick und können den Befehlshabern nach eigenen Angaben »in Echtzeit« Lagebilder liefern.
Für die Koordination der NATO-Luftstreitkräfte ist Kalkar unabdingbar - auch in Zukunft. Denn der Militärstandort beherbergt zudem das »Joint Air Power Competence Centre« (JAPCC), eine Denkfabrik, um die Kriegsszenarien der Zukunft abzuschätzen. Zu den Aufgaben der von 17 NATO-Staaten finanzierten Einrichtung heißt es auf einer Bundeswehr-Website: »Es kommt darauf an, das gesamte Spektrum der Luftkriegsmittel optimal auf das künftig erforderliche Fähigkeitsprofil abzustimmen, um neuen Risiken und Bedrohungen wirksam begegnen zu können.«
Einmal im Jahr lädt die Denkfabrik zu einer internationalen Konferenz für Militärs, um die neuesten sicherheitspolitischen Entwicklungen und Konzepte zu besprechen. In diesem Jahr findet die Konferenz vom 23. bis 25. November mit dem Schwerpunkt »strategische Kommunikation« statt. 250 Militärs aus 20 Nationen werden in den Messehallen von Essen erwartet. Dabei sollen deutsche Wissenschaftler und professionelle Journalisten mit PR-Experten der NATO zusammenkommen, um »Missverständnisse in der Kommunikation« auszuräumen und sich gegenseitig zu stärken, heißt es in der Ankündigung der Tagung. So sei die deutsche wie auch die italienische Öffentlichkeit bislang sehr empfänglich für »Anti-NATO-Kampagnen«, konstatieren die Militärstrategen.
Als »Herausforderung« sieht das Militärbündnis beispielsweise die mangelnde Akzeptanz für militärische Drohnen, die in der deutschen Bevölkerung aktuell noch sehr kritisch gesehen werden. Zu den Sponsoren der Veranstaltung gehört neben europäischen und US-Rüstungskonzernen nicht zufällig der große Drohnenhersteller »General Atomics«, der seine ferngesteuerten Fluggeräte in Zukunft vermehrt an die Bundeswehr verkaufen möchte. Neben dieser rüstungspolitischen Frage wird auch auf aktuelle sicherheitspolitische Geschehnisse eingegangen. So soll auf der Konferenz darüber gesprochen werden, wie Russland die NATO mit systematischen Medienkampagnen diskreditiere und versuche, ihre Autorität zu untergraben.
Die kriegskritische Einstellung in der heimischen Bevölkerung wird - das zeigt das Programm deutlich - nicht als politisches Votum für eine zivile Außenpolitik verstanden, sondern als ein Problem der eigenen Kommunikation bzw. Folge feindlicher Einflussnahme. So spielt die Kaserne in Kalkar nicht nur eine große Rolle bei der Koordination der NATO-Luftstreitmacht, sondern hat durch das JAPCC eine wichtige Funktion, die »Heimatfront« für das eigene Militär zu sichern. Die Denkfabrik soll für die Zustimmung der Bevölkerung zur Politik der NATO sorgen.
Ganz unbehelligt können die Militärs in Kalkar und Essen indessen nicht mehr agieren. Der Widerstand wächst. In den vergangenen Jahren fanden vor Ort immer wieder Protestaktionen von Friedensaktivisten statt: 2013 demonstrierten rund 150 Aktivisten in Kalkar. Im Oktober waren bereits 500 Menschen gegen die Bundeswehr- und NATO-Zentrale auf der Straße und am Wochenende konnten sogar 700 Friedensbewegte nach Essen gegen die JAPCC-Konferenz mobilisiert werden. Im idyllischen Kalkar und auch in Essen wird es für die Militärs zunehmend ungemütlich.
https://www.japcc.org
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