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Auf nach Paris?!

Trotz alledem: Das Demonstrationsverbot zum Klimagipfel ist nicht hinnehmbar

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 5 Min.

Jetzt ist der 11. September 2001 aus den Vereinigten Staaten auch nach Europa gekommen. Faschistische Jungmänner aus den Banlieues Westeuropas haben ein Massaker in der Pariser Innenstadt angerichtet. Nach dem derzeitigen Stand ist es ihnen gelungen, dort mehr als 130 wahllos ausgesuchte Menschen zu ermorden. Das soll alles im Namen der Terrorgruppierung IS (Islamischer Staat) durchführt worden sein, die im Internet ein Bekennerschreiben verbreitet, in der auf die »Hauptstadt der Unzucht und Laster« verwiesen wird, in der »Prostitution und Sünde« herrschen soll.

Da erklären sich die Richtigen. Mit »Unzucht und Laster« kennen sich wahrlich niemand so gut aus wie die Sklavenhändler und Massenvergewaltiger vom IS. Aber über den noch in jede rechte Ideologie eingeschriebenen Betrug soll hier gar nicht erst lamentiert werden. Allerdings ist die im Bekennerschreiben ebenfalls eingeschriebene Formulierung, dass den Leuten hier in Europa der im Mittleren Osten seit Langem ziemlich gut bekannte »Geruch des Todes« in die Nasen aufsteigen wird, Ausdruck klarer Wirklichkeitsbeschreibung. Davon hätte allerdings nach der von der Bush-Cheney-und-Rumsfeld-Junta nach dem 11. September 2001 getroffenen falschen Entscheidung einen »Global war on Terrorism« zu starten, schon lange ausgegangen werden müssen. Nun ist er evident.

Die französische Regierung nutzt nun, wie zuvor Bush, die Gelegenheit, die in der Verfassung garantierten elementaren Menschenrechte via Ausnahmezustand außer Kraft zu setzen. Was für ein Erfolg der von den IS-Menschenjägern ohne relevantes strategisches Bedrohungspotenzial für den Westen exekutierten mörderischen Nadelstichpolitik! Was nun aus der Perspektive der französischen Regierung folgen soll, ist denkbar schlicht: Von allem Bekannten einfach noch mehr: noch mehr Geheimdienstler, noch mehr Soldaten, und noch mehr Bombardierungen in Weit-weg-Syrien. »Nun foltert und bombardiert mal schön!« ist man da versucht, den politisch Verantwortlichen im Westen verschmitzt zurufen – wenn es für einen selbst nicht so bedrohlich wäre.

Die offenen Kriege und die global Geführten schon gar nicht, waren noch nie ein gutes Trampolin für die Praxis sozialer Bewegungen mit egalitär-emanzipatorischen Ansprüchen. Egal wie man es dreht und wendet: Ob man sich an den Plünderungen der afghanischen Bevölkerung in Kundus an den geklauten Benzinlastern der Bundeswehr beteiligt oder sich in Pariser Amüsiervierteln dem freien Konsum anheim gibt, so oder so droht die Exekution. Alle wissen doch, dass wenn man zu unbefangen auf dem Schlachtfeld ohne Deckung herumspringt, sehr schnell erschossen werden kann. Diese Einsicht macht mit einem zunächst vieles, Mut und Zutrauen gehören erstmal nicht dazu.

Sich nicht mit dem Sicherheitsdiskurs gleichschalten

Aber was ist die Alternative? Abwarten bis man, von wem auch immer, selbst an die Reihe kommt und an die Wand gestellt wird? Wichtig hier allemal, sich selbst nicht intellektuell mit den Fiktionen des Sicherheitsdiskurses gleich zu schalten. Wenn der Autor Oliver Tolmein sein Bekenntnis »dass die Polizeieinsätze der vergangenen Tage auch meiner Sicherheit gedient haben« mit der von ihm wohl »problemlos« erhobenen Behauptung unterfüttert, »dass gegen diese rücksichtslosen und bis zum letzten entschlossenen Angreifer (von Paris) (…) nicht mit Mitteln der Arbeits- und Sozialpolitik, des Diskurses oder der gesellschaftlichen Ausgrenzung« vorgegangen werden könne, so liegt genau das in einem politischen Sinne vor.

Was soll der Unfug, etwas zurückweisen, was bezogen auf die konkreten Massakeraktionen von Paris ernsthaft so niemand vertritt? Nein, auch mit dem Angebot auf den Genuss eines halben Liter lauwarmer Milch waren die IS-Mörder von Paris nicht aufzuhalten – übrigens auch nicht von der leider zu spät eintreffenden Polizei – was dieser auch gar nicht vorzuwerfen ist.

Allerdings kann der Massenmord von Paris eben auch als politisches Signal dafür interpretiert werden, gegen die sich weiter globalisierende Praxis von Terror und Massenmord jetzt erst recht für die Idee einer globalen Gerechtigkeit, um hier einmal den Begriff des Kommunismus zu vermeiden – unseretwegen auch mit den »Mitteln der Arbeits- und Sozialpolitik« – einzutreten. Was denn sonst?

Sich weiterhin frei bewegen, treffen und kämpfen

Die ab Ende November in Paris angekündigten Proteste zum Weltklimagipfel können eine gute Gelegenheit dafür sein in diesem Sinne eine Massenmanifestation durchzuführen. Die Cher Camarades von Attac Frankreich haben zu den Pariser Anschlägen eine kluge Erklärung abgegeben. Darin weigern sie sich »dem Terror nachzugeben« und sie bekräftigen auch für die Zukunft ihre »Entschlossenheit, uns weiterhin frei zu bewegen, zu arbeiten, uns zu unterhalten, uns zu treffen und zu kämpfen«. Der nun angekündigte Krieg sei nicht ihr Krieg, er führe zu keinem Frieden, »weil es keinen Frieden ohne Gerechtigkeit gibt«. Energisch weisen sie »jede Beschränkung des Demonstrationsrechts und des Rechts ab, gegen diese verfallende Welt und für Alternativen zu kämpfen, die die Völker des Südens und des Nordens zusammenführen«.

Dass die französische Regierung mit einer solchen Argumentation überhaupt nichts anzufangen weiß, und die faschistisch inspirierten Massenmorde von Paris als Gelegenheit beim Schopfe gepackt hat, ein komplettes Verbot aller Gegenveranstaltungen zum Klimagipfel der Staatschefs zu verfügen, verwundert nicht. Eine Gleichschaltung der Öffentlichkeit nutzt noch jedem Kriegsvorhaben. Es kann nicht richtig sein, sich damit einverstanden zu erklären. Insofern ist das Demonstrationsverbot zum Klimagipfel nicht hinnehmbar und in diesem Sinne besteht die Aufgabe darin, sich in geeigneter Weise an den in Paris geplanten Protesten zu beteiligen.

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