Polen sehen kalten Staatsstreich in demokratischem Rahmen

Nationalkonservative Kaczynski-Partei greift nach dem Verfassungsgericht, den Medien und zensiert Theaterkunst

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
In Polen dauert das Ringen um die dritte Macht an - die konservativen Wahlsieger streben sogar nach der Inbesitznahme des Verfassungsgerichtes als höchster Instanz der Rechtssprechung.

Mehrheiten in beiden Parlamentskammern und eine absolut hörige Regierung genügen dem Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jaroslaw Kaczynski noch nicht, sein autoritäres System wasserdicht zu machen. So glänzte der Sejm mit einer Initiative, den Weg zur absoluten Macht in Polen schleunigst zu kürzen. Ein neues Gesetz zur Wahl von Mitgliedern des Verfassungsgerichts wurde am Donnerstagvormittag beschlossen und bereits am späten Abend vom Senat bestätigt. Schon am nächsten Morgen trug es die Unterschrift des Präsidenten Andrzej Duda und stand Stunden später im Amtsblatt der Regierung. Es soll PiS-Getreuen den Weg ebnen.

Proteste von Helsinkistiftung, »Bürgerplattform« (PO) und »Nowoczesna« (Moderne) bewirkten, dass das Werk am 3. Dezember vom »Trybunal Konstytucyjny« auf dessen Übereinstimmung mit dem Grundgesetz von den alten Verfassungsrichtern geprüft werden soll.

Bislang läuft für die neuen Machthaber alles wie am Schnürchen. In der Nacht zu Donnertag wurden von Regierungschefin Beata Szydlo die Chefs aller zivilen Dienste zum Rücktritt gezwungen. Verteidigungsminister Antoni Macierewicz kündigte bei einer Feier in der Fliegerschule in Deblin an, auch die militärischen Dienste müssten neue Direktionen bekommen. Es seien ebenfalls 160 Vorsitzende von Aufsichtsräten der derzeit noch staatseigenen großen Firmen auszutauschen. Da dürfte es Probleme geben, da es offenbar an kompetenten »eigenen Leuten« mangelt.

Angekündigt wurde, dass in den Chefetagen der öffentlichen Medien, also in Radio und Fernsehen, bald neue Dienstherren walten würden. »Unfreundliche« Journalisten wurden abgesetzt. Müsse doch die vierte Macht, so der Wille der Nationalkonservativen - soweit es geht - in »unsere Hände kommen«.

Als Sprecher der einzelnen Ministerien wurden Journalisten aus »patriotischen« Blättern berufen. Vizepremier Pjotr Glinski, der auch das für die »Wahrung des nationalen Erbes« verantwortliche Kulturministerium leitet, griff gleich durch. Er versuchte, die Premiere eines nach Elfriede Jellinek arrangierten Stückes »Der Tod und das Mädchen« im Teatr Polski von Wroclaw zu stoppen. Mit seinem Einspruch rief er eine Meute von »Rittern der heiligen Maria« auf den Plan, die den Theatereingang blockierten. Drei Tage zuvor wurde in derselben Stadt, die nächstes Jahr Europäische Kulturhauptstadt sein wird, bei einer Anti-islamischen Kundgebung vor dem Rathaus eine »Judenpuppe« verbrannt.

Im Schatten der Flüchtlingskrise, insbesondere der Terrorakte in Paris, wird der Ruf »Sicherheit geht vor« immer lauter. Innenminister Blaszczak erklärte zu Wochenbeginn: Polen werde keine Kompromisse eingehen. Die Zahl der aufnahmewilligen Gemeinden schrumpfte auf 66 von insgesamt rund 2500.

Die gegenwärtigen Veränderungen mögen formell in einem als demokratisch geltenden Rahmen stattfinden, doch viele Polen sprechen bereits von einem kalten Staatsstreich.

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