Schwarze Null wackelt
Opposition kritisiert Prognosen der Koalition in der Flüchtlingspolitik
Der Etat des Ministeriums für Arbeit und Soziales ist mit Abstand der größte Einzelposten im Bundeshaushalt. Auch aufgrund der Flüchtlingszahlen wird er im kommenden Jahr deutlich steigen. Nachdem die Bundesregierung in ihrem Haushaltsentwurf eine Steigerung der Ausgaben des von Andrea Nahles (SPD) geführten Ministeriums um 1,63 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr (125,66 Milliarden Euro) auf 127,29 Milliarden Euro 2016 vorgesehen hatte, erhöhte der Haushaltsausschuss vor etwa zwei Wochen die Ausgaben um weitere 2,6 Milliarden Euro. Damit stehen Nahles im kommenden Jahr insgesamt 129,89 Milliarden Euro zur Verfügung.
Die SPD-Politikerin geht davon aus, dass mit der Anerkennung vieler Flüchtlinge auch die Arbeitslosenzahlen in die Höhe gehen werden. Damit steigen die Ausgaben für Sozialleistungen. Für Hartz-IV-Leistungen sind Mehrausgaben in Höhe von rund 1,2 Milliarden Euro eingeplant. Die Regierung bündele ihre Anstrengungen für die Flüchtlinge mit denen für Langzeitarbeitslose, sagte Nahles. Wenig überraschend kündigte sie bei der Bundestagsdebatte über ihren Etat am Donnerstag zudem an, dass ihr Ziel sei, dass Flüchtlinge möglichst schnell für sich selbst sorgen könnten. »Hartz IV soll für niemanden in Deutschland eine Dauerlösung sein«, so Nahles.
Auch deswegen sollen die Jobcenter besser finanziert und mehr Geld in die Förderung berufsbezogener Sprachkurse investiert werden. Damit die Schutzsuchenden schneller Deutsch lernen, sprach sich Nahles für eine enge Verzahnung von Sprachkursen mit Praktika, Ausbildungen oder ersten Arbeitserfahrungen in Betrieben aus. Forderungen von Unternehmern, dass für Flüchtlinge beim Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro Sonderregelungen gelten sollten, wies Nahles deutlich zurück. »Der Mindestlohn gilt für alle, egal welchen Pass jemand mitbringt«, sagte sie.
Allerdings gibt es für Asylbewerber Hürden auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Gesine Lötzsch, wies auf das dreimonatige Arbeitsverbot hin. »Wir könnten viel Steuergeld sparen, wenn Flüchtlinge nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen wären, weil sie schnell eine Arbeit aufnehmen dürften«, sagte die LINKE-Politikerin. Das Arbeitsverbot müsse deswegen endlich vom Tisch. Lötzsch forderte ein Investitionsprogramm, das durch eine Vermögensteuer finanziert werden müsse und neue Arbeitsplätze schaffen würde.
Doch einer solchen Politik hat die Große Koalition längst eine Absage erteilt. Vermögen und hohe Einkommen werden von ihr nicht angetastet. Die Bundesregierung profitiert derzeit vielmehr von den Auswirkungen des günstigen wirtschaftlichen Umfelds. Die Steuereinnahmen sind aufgrund der wachsenden Wirtschaft hoch. Hinzu kommen die geringen Zinslasten als Folge der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Deswegen war es Union und SPD zuletzt gelungen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Bislang plant Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) weiter mit dieser »schwarzen Null«. Doch im kommenden Jahr dürfte es schwierig werden, ohne neue Schulden auszukommen. Am Dienstag hatte Schäuble zu Beginn der Haushaltswoche im Bundestag betont, dass Versorgung und Integration der Flüchtlinge »erste Priorität« für ihn habe. Erst danach komme die Frage, ob die notwendigen Ausgaben ohne neue Schulden zu schultern seien oder nicht. Schäuble räumte ein, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise »ein bisschen auf Sicht« zu fahren. Möglich ist, dass der Bund sich demnächst stärker an den Kosten für die Flüchtlingsabwehr an den europäischen Außengrenzen beteiligen wird.
Im Gesamtetat von mehr als 316 Milliarden Euro sind bislang für das kommende Jahr insgesamt 7,5 Milliarden Euro für die zusätzlichen Ausgaben in der Flüchtlingspolitik eingeplant. Oppositionspolitiker halten dies für zu gering. Sie bemängeln, dass einige Entwicklungen im kommenden Jahr von der Bundesregierung nicht realistisch eingeschätzt worden seien. Die Grünen-Politikerin Ekin Deligöz kritisierte bei ihrer Parlamentsrede am Donnerstag, dass die Bundesregierung von nur 800 000 Flüchtlingen ausgehe und kaum mit Familiennachzug rechne. Zudem sei die Regierung zu optimistisch, was die Erfolge anerkannter Flüchtlinge betreffe, aus dem Hartz-IV-Bezug herauszukommen.
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