Nuklearer Winter
Ärzteorganisation: Atomkrieg würde auch das Klima deutlich schädigen
Seit 70 Jahren, seit den US-Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki, ist die Welt mit der Gefahr von Kernwaffen konfrontiert. Jahrzehntelang dienten sie der Abschreckung im Kräftemessen der beiden weltpolitischen Lager. Die einstigen Großmächte haben zwar nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation ihre nuklearen Waffenvorräte stark reduziert, halten aber grundsätzlich an ihnen fest. Andererseits ist die Gefahr der Weiterverbreitung von Kernwaffen und damit ihres Einsatzes bei einem regionalen Konflikt größer denn je.
Die davon ausgehende Bedrohung sei nicht nur regional, sondern global, betonte Abraham Behar, Präsident der französischen Sektion und ehemaliger Vizepräsident der Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), am Donnerstagabend in Paris. Der Einsatz des gesamten existierenden Nuklearwaffenarsenals hätte 150 Millionen Tonnen Rauch und Staub in der Stratosphäre zur Folge und weltweit eine 45-prozentige Verminderung der Regenmenge. Die Erdoberfläche würde sich dadurch um durchschnittlich sieben bis acht Grad Celsius abkühlen, während es bei der letzten Eiszeit nur insgesamt fünf Grad waren.
»Doch schon ein regionaler nuklearer Krieg, sagen wir zwischen Indien und Pakistan, mit 100 Bomben in der Größe derer von Hiroshima hätte über die unmittelbaren Opfer, Zerstörungen und Verstrahlungen hinaus weltweit katastrophale Auswirkungen auf das Klima und würde viele Millionen Menschen einer Hungersnot aussetzen«, so Behar. Eine IPPNW-Studie hat nachgewiesen, dass ein solcher Regionalkrieg zu einem »nuklearen Winter« mit einer weltweiten Abkühlung um durchschnittlich 1,25 Grad führen würde - über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren. »Das würde zwar nicht zur vollständigen Vernichtung der Menschheit führen, aber das Ende unserer heutigen modernen Zivilisation einleiten«, unterstrich Behar.
Durch einen regional begrenzten Atomkrieg aufgewirbelter Rauch und Staub würde die Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche um bis zu zehn Prozent vermindern. Ein abrupter Temperatursturz und deutlich weniger Regen wären die Folgen. Durch eine globale Abkühlung würden sich die Wachstumsperioden in der Landwirtschaft verkürzen und die Erträge drastisch sinken. Die dadurch ausgelöste Spekulation und Verteuerung von Nahrungsmitteln würden diese für Millionen Arme unerschwinglich machen. »Heute sind weltweit 800 Millionen Menschen chronisch unterernährt. Für sie würden schon zehn Prozent weniger Nahrungsmittel als heute den Hungertod bedeuten«, warnte der Mediziner. »Weitere Hunderte Millionen nicht ausreichend ernährte Menschen wären zu schwach, um bei Epidemien von Infektionskrankheiten noch genügend Abwehrkräfte im eigenen Körper zu produzieren, um überleben zu können.«
Zum Vergleich erinnerte Behar an die Missernte von 2008 in Vietnam, als dort der Export von Reis gestoppt wurde, um den Bedarf der eigenen Bevölkerung zu sichern. »Die Meldungen darüber reichten aus, um die Spekulation anzuheizen und etwa den Preis für Reis in Afrika auf das Fünffache hochschnellen zu lassen, obwohl die Lager voll waren.«
Mit Verweis auf den am Montag beginnenden Klimagipfel bekräftigte Behar, dass Atomkraft durchaus nicht die nachhaltige Energiequelle ist, zu der sie die Kernkraftlobby hochstilisieren will. »Zwar fallen hier bei der Produktion von einer Kilowattstunde Strom unmittelbar nur sieben Gramm CO2 an, doch wenn man die Kernabfälle und andere Folgeschäden einbezieht, sind es schon mehr als 50 Gramm, ganz abgesehen vom Damoklesschwert gigantischer Unfälle wie Tschernobyl und Fukushima mit ihren Langzeitfolgen.« Hinzu komme das ungelöste Problem der Atomabfälle, die über Jahrhunderte eine Gefahr darstellten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.