Kleine Schritte in Richtung Realpolitik
Die nordrhein-westfälische Linkspartei beginnt ihre Programmdebatte zur Landtagswahl 2017
Das ist relativ ungewohnt für die Spitze der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen: In diesen Tagen musste sie sich von Journalisten den Vorwurf gefallen lassen, auf realpolitischem Kurs zu sein. Befragt, ob die LINKE künftig mitregieren wolle in NRW, hatte Landessprecherin Özlem Alev Demirel vor einer fünf Köpfe umfassenden Medienmeute referiert, die LINKE lehne eine falsche Politik ab, wolle aber sinnvolle Reformen vorantreiben. Die Presse witterte einen Rechtsruck.
Werdet Ihr endlich vernünftig oder liefert Ihr wenigstens Stoff für einen neuen Skandal - und was macht eigentlich die Wagenknecht? Das ist der Mikrokosmos, in dem Mainstream-Journalisten in NRW herumwandern, wenn es um die LINKE geht. Spötter behaupten, die Partei befriedige diese deprimierend primitiven Bedürfnisse ausgesprochen routiniert.
Özlem Demirel blickt in die Runde. In sechs sehr breiten Reihen sitzen die Delegierten des Landesrats, also des kleinen Parteitags, am Samstag in einer Dortmunder Bildungseinrichtung vor ihrer Parteichefin. »Wir haben mit Sahra Wagenknecht eine hervorragende Realpolitikerin im Bundestag«, habe sie den fünf Journalisten geantwortet. Und auch deren Ko-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch als »hervorragenden Realpolitiker« gelobt.
In anderthalb Jahren wird wieder gewählt in Nordrhein-Westfalen. Die Umfragen sahen die Partei zuletzt wieder im Parlament des einwohnerreichsten und industriestärksten Bundeslandes. Eine linke Stimme wäre dort dringend nötig. Die Armut sei in NRW massiv gestiegen, entgegen dem bundesweiten Trend, referiert Gastredner Dr. Ulrich Schneider auf dem Dortmunder Landesrat. Im Ruhrgebiet sei jeder Fünfte arm - es sei damit Problemregion Nummer eins in Deutschland, so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Schneider und Demirel umschmeichelten einander. Sie sehen die Linkspartei und den großen Wohlfahrtsverband als Partner im Kampf gegen das, was Schneider »massivste Verteilungskämpfe« und »erbitterte Schlacht« nennt.
Die Debatte um das linke Wahlprogramm hat begonnen. Es geht um Armut und um Flüchtlinge, um linke Wirtschaftspolitik und um den generellen Umgang mit Prostitution. Im November 2016 will die NRW-LINKE das Papier beschließen. Es soll kürzer und pointierter ausfallen als das letzte Wahlprogramm und weniger von Steckenpferden geprägt sein.
Zudem soll es eine Kurzfassung mit den sechs bis sieben wichtigsten Forderungen geben. Damit würde ein alter Wunsch eher realpolitisch orientierter Landesgranden wahr: Rot-Grün mit konkreten Forderungen entgegenzutreten statt mit »roten Haltelinien«, die allenfalls grob darlegen, was die Partei nicht will.
In NRW erfreut sich die Bundespartei der LINKEN einer deutlich größeren Beliebtheit als die Landespartei, die als besonders links und selbst Parteifreunden als »Hort des Wahnsinns« galt. Nicht nur Insider beklagen ein Übermaß an Basisdemokratie und einen Mangel an politischer Führung. Erfahrungen mit Rot-Grün-Rot im Land und in wichtigen Städten wie Köln und Duisburg werden nicht aufgearbeitet. Die Partei fand zuletzt als landespolitischer Akteur nicht mehr statt.
All das hatte messbare Folgen. Bei den letzten beiden Bundestagswahlen gewann die Partei in Nordrhein-Westfalen 8,4 respektive 6,1 Prozent der Stimmen, bei den Landtagswahlen 2010 und 2012 waren es 5,6 und 2,5 Prozent. Entsprechend flog die LINKE bereits nach zwei Jahren aus dem Landtag. Und das ausgerechnet bei einer Neuwahl, die sie selbst provoziert hatte.
Im Mai wurden der NRW-Linkspartei in einer Sonntagsfrage zur Landtagswahl erstmals sechs Prozent prognostiziert. Landessprecher Ralf Michalowsky kommentierte diese für ihn erfreuliche Umfrage mit den Worten: »Wir haben lange keine Skandale mehr gehabt, die Partei ist befriedet.«
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