Refugees Welcome: Soziale Zentren für alle

Um die Isolation der Geflüchteten zu durchbrechen, sollen Orte der Solidarität entstehen: Besetzungsversuche in Deutschland

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 29. Februar 2016: Berlin, Freiburg, Frankfurt am Main, Münster, Halle

Refugees Welcome: Soziale Zentren für alle

In Berlin findet am Samstag, 5. März die eintägige Konferenz »Social Center selber machen« statt. Verschiedene Berliner Initiativen wollen sich in Plenas und Workshops darüber verständigen, wie ein Soziales Zentrum in Berlin konkret aussehen muss. Bereits beim Ratschlag »Berlin für alle«, zu dem am 14. Februar über 200 Menschen zusammenkamen, gab es eine Arbeitsgruppe zum Thema.

In Freiburg sprachen sich am 28. Februar etwa 150 Kundgebungsteilnehmer/innen für ein soziales Zentrum für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung aus. In den leerstehenden Räumen des alten DGB-Hauses in der Hebelstraße soll ein Ort für Begegnungen, solidarische Unterstützung, Deutschkurse, Informationsveranstaltungen, rechtliche Beratung, medizinische Unterstützung und kulturelles Schaffen entstehen.

Am 13. Februar versuchte das »Project Shelter« in Frankfurt am Main erneut ein »Willkommenszentrum für obdachlose Migranten« zu eröffnen. Der Versuch scheiterte, aber die Initiatoren erklärten: »Aufgeben ist keine Option«. Die Linkspartei forderte die schwarz-grüne Stadtregierung auf, »ihren kompromisslosen Law-And-Order-Kurs zu beenden und der Initiative ohne bürokratischen Verwaltungsaufwand ein Objekt zur Verfügung zu stellen«

Am 6. Februar wurde in Münster die alte Post am Hansaring besetzt, um dort ein Soziales Zentrum entstehen zu lassen. Die Besetzer/innen erklärten: »Wir möchten einen Ort zugänglich machen, der allen Menschen offen steht. Auch denen, die von und in der Stadt an den Rand gedrängt werden. In dem sozialen Zentrum in der alten Post sollen alle Menschen, die in dieser Stadt leben, einen Ort finden um sich wohl zu fühlen. Dies betrifft ausdrücklich Refugees«

Bereits Anfang Januar war es Besetzerinnen und Besetzern in Halle gelungen, ein Soziales Zentrum in einem leerstehenden Gebäude zu eröffnen. Neben Infrastruktur für Geflüchtete sollen im ersten sozialen Zentrum Arbeits­- und Seminarräume für nichtkommerzielle Initiativen und ein Lesecafé entstehen.

Update 18. Dezember 2015: Frankfurt am Main, Köln, Leipzig, Bremen

Am Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember, besetzte das Projekt Shelter und weitere Aktivist/innen aus antirassistischen Initiativen in Frankfurt am Main ein Haus. Die Besetzer/innen forderten von der Eigentümerin, die städtische ABG Frankfurt Holding, ihnen das seit Monaten leerstehende Gebäude für ein winterfestes Quartier für obdachlose Geflüchtete zu überlassen. Die Eigentümerin ließ das Gebäude durch die Polizei räumen. Die Polizisten standen wegen ihres brutalen Vorgehens unter starker Kritik. Eine Woche nach der Räumung gab es Anschläge auf Fahrzeuge der ABG Frankfurt Holding, die für die Räumung verantwortlich war.

Einen Tag später besetzten Aktivist/innen in Köln-Sülz/Lindenthal ein seit über fünf Jahren leerstehendes Gebäude für Wohnraum, der Wohnungslosen und auch Geflüchteten offen steht. In den Verhandlungen zwischen Besetzern, Stadt und Eigentümer ging es um die Zukunft des Gebäudes. Die Stadt wolle es mieten und sanieren, um dort Flüchtlinge einziehen zu lassen. Die Besetzer/innen favorisieren eine Weiterführung der selbstverwalteten Zwischennutzung, die allen offen stehe und das Erdgeschoss als Treff im Sinne eines sozialen Zentrums miteinbeziehe.

Am 16. Dezember gab es in Leipzig eine Besetzung einer alten Universitätsbibliothek, wie in Berlin unter dem Motto »Social Center for all« (SC4A). Die etwa 80 Besetzer/innen beendeten am kommenden Tag die Besetzung, kündigten aber auf Twitter an: »Wir kommen wieder, keine Frage«.

Schon im September 2015 gab es vergleichbare Besetzungen in Athen. Und erinnert sei auch an die Besetzung des Alten Sportamts in Bremen .

Soziale Zentren für alle: Lübeck, Göttingen, Berlin, Leipzig

Nach dem »Sommer der Migration« gründeten sich in vielen Teilen Deutschland Initiativen, die ankommende Flüchtlinge willkommen hießen. Zahlreiche Freundschaften sind auf diesem Weg entstanden. Obwohl zahlreiche Bürger und Politiker sich um Unterbringung der Geflüchteten bemühen, fehlen nach wie vor angemessene Unterkünfte für viele, aber auch Orte, an denen Unterstützer und Flüchtlinge zusammenkommen und gemeinsam sprechen können, um alles zum Leben notwendige zu organisieren. Um solche Räume zu erkämpfen, gehen die Initiativen neue Wege, indem sie Gebäude besetzen. Die Verantwortlichen in den Städten gehen mit den Besetzungen sehr unterschiedlich um.

Das Lübecker Flüchtlingsforum versorgt seit September Geflüchtete unter anderem aus Syrien, Irak, Afghanistan und Eritrea mit Essen, Kleidung und Unterbringung und ermöglichte einer fünfstelligen Zahl von Flüchtlingen die Weiterreise nach Schweden. Das Flüchtlingsforum hat mit seiner Hilfe für die sogenannten Transitflüchtlinge gezeigt, wie schnell und gut selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Engagement funktioniert. Keine staatliche Stelle hätte es allein besser organisieren können. Um ihre ehrenamtliche Arbeit fortsetzen und die Unterbringung der Transitflüchtlinge gewährleisten zu können, haben die Flüchtlingshelfer und Aktivisten im Oktober städtische Gebäude besetzt. Die Presse berichtet wohlwollend und die Stadt Lübeck duldet das »Solidaritätszentrum für Geflüchtete« in ihren Räumen.

In Göttingen haben Anfang November Aktivisten das ehemalige DGB-Haus besetzt, um menschenwürdigen Wohnraum für Geflüchtete und andere von Wohnungsnot betroffene Gruppen zu schaffen. Der DGB zeigte sich gesprächsbereit, berichtete die Lokalpresse, und ließ nicht räumen. Bald übernachteten dort die ersten Geflüchteten, die Räume wurden renoviert und in schöne Wohnungen verwandelt.

Während in Berlin Senat und Bezirke drohen, Turnhallen und leerstehende Gebäude zu beschlagnahmen hat die Initiative »Social Center 4 all« am 25. November zum zweiten Mal eine Besetzung durchgeführt. Sie möchte »einen selbstverwalteten sozialen Raum schaffen, in dem sich Initiativen aus Berlin und Refugees kennenlernen und gemeinsame Diskussionen führen können. Wir wollen auch einen Raum öffnen, in dem Sport, Sprachkurse, Informationsveranstaltungen selbstorganisiert stattfinden können – jenseits des Versuchs eines permanenten staatlichen Zugriffs.« Die Besetzung wurde, ebenso wie die vorhergehende im September, gleich am ersten Tag polizeilich geräumt. Ein Ort für Flüchtlinge und ihre Unterstützer ist – anders als in Lübeck und Göttingen – in der Hauptstadt offensichtlich nicht erwünscht.

Auch in Leipzig wird ein Soziales Zentrum für alle gefordert, um dort die politische Arbeit von Geflüchteten und Unterstützern gemeinsam an einem Ort fortzusetzen. Die Aktivisten von »Social Center for all« informierten vor dem Rathaus den Stadtrat und die Öffentlichkeit über ihr Anliegen. Sie hoffen auf die Einsicht der städtischen Verantwortlichen, schließen aber nicht aus, selbst Räume zu suchen und sich anzueignen, falls sich die Stadt uneinsichtig zeigt.

Spätestens seit den 70ern Jahren, als die Jugendzentrumsbewegung in vielen Städten und Gemeinden selbstverwaltete Jugendzentren mit eigenen Treffpunkten zur Freizeitgestaltung ohne Konsumzwang und ohne Kontrolle durch die Elterngeneration forderte, existiert das Bedürfnis nach autonomen Räumen und sozialen Zentren. Als sich vor über zehn Jahren Menschen in der Sozialforumsbewegung sammelten, hörte man in manch einer Stadt auch den Wunsch nach einem basisdemokratisch und kollektiv organisierten Centro Sociale.

Mit der Willkommensbewegung ist das Bedürfnis nach selbstverwalteten Räumen wieder auf der Tagesordnung. Es geht dabei um mehr als nur eine Alternative zur Unterbringung in Sammellager zu schaffen. Es geht darum, die Politik der Isolation und Verelendung zu durchbrechen, dem Bedürfnis nach Gesprächen und einem sozialen und politischen Austausch gerecht zu werden und gemeinsam politische Anliegen und ihre Umsetzung zu organisieren. In Berlin wird daran weiter überlegt, die nächsten Initiativen für ein »Social Center« kommen bestimmt. In Leipzig wird schon öffentlich dazu eingeladen: »Schafft mit uns einen Ort der Solidarität, des gleichberechtigten Austauschs und damit einen Ort, der für alle Menschen offen ist, die sonst in der Gesellschaft an den Rand gedrängt werden.« nis

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.