Putin stellt Ankara unter Terrorismusverdacht
Russland beschuldigt Türkei des Ölhandels mit dem IS / USA werben für Mäßigung und NATO hilft militärisch
Worte des Bedauerns über den üblen Stand der Dinge zwischen Russland und der Türkei aus dem Munde des russischen Präsidenten begleiteten am Dienstag Klärungsversuche der NATO in Brüssel. Wladimir Putin nannte die Entwicklung »äußerst schade«, um in einem Gespräch mit Journalisten laut TASS aber doch kräftig nachzulegen.
So würden schon lange bewaffnete Terroristen in Regionen Russlands, darunter den Kaukasus, über die Türkei einsickern, stellte Putin Ankara unter Terrorismusverdacht. Die Türkei sei schon lange gebeten worden, »diese Praxis zu beenden«. Doch würden sich »Vertreter terroristischer Organisationen« in türkischen Regionen aufhalten, die von Geheimdienst und Polizei geschützt seien, und nach Russland kommen, um dort zu kämpfen.
In der Luft rüstete Moskau auf. Die in Syrien eingesetzten Kampfflugzeuge SU-34 seien erstmals nicht nur mit Bomben, sondern auch Luft-Luft-Raketen kurzer und mittlerer Reichweite Einsätze geflogen, berichtete Interfax unter Berufung auf einen Vertreter der Luftstreitkräfte. Dies diene der Selbstverteidigung, hieß es.
Den Abschuss des russischen Kampfjets vor einer Woche sah Putin als Versuch der Türkei ihren Ölhandel mit der Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) sichern zu wollen. »Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass die Entscheidung über den Abschuss unseres Flugzeuges von dem Wunsch diktiert gewesen ist, die Lieferung des Öls direkt zu den Häfen zu sichern«, wurde der Staatschef von der russischen Agentur zitiert. Jetzt sei nicht nur eine Entschuldigung Ankaras, sondern Aufklärung nötig.
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wies dies umgehend und vehement zurück. Sollte Russland dafür Beweise vorlegen können, werde er von seinem Amt zurücktreten, konterte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu. Die Türkei beziehe Öl und Gas lediglich aus legalen Quellen wie beispielsweise Russland. Auch der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kritisierte die »grundlosen Anschuldigungen« gegen sein Land. Durch die Haltung Moskaus habe sich aus dem Syrien-Konflikt »jetzt leider eine Krise zwischen der Türkei und Russland entwickelt«.
Kremlchef Putin und sein US-Amtskollege Barack Obama berieten am Rande der UN-Klimakonferenz über den Syrien-Konflikt. Beide Präsidenten sprachen sich für den »schnellstmöglichen Beginn einer politischen Regelung« in Syrien aus, teilte Putins Sprecher Dmitri Peskow mit. Obama selbst nährte Spekulationen, dass Russland seine Unterstützung für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad aufgeben könnte: »Ich glaube, es ist möglich, dass in den nächsten Monaten eine Veränderung im Kalkül eintritt.«
Der Chef des Weißen Hauses forderte die Türkei und Russland zum gemeinsamen Kampf gegen den IS auf. Nach einem Gespräch mit Erdogan in Paris sagte Obama: »Wir haben alle einen gemeinsamen Feind. Das ist der IS. Und ich will sicher sein, dass wir uns auf diese Bedrohung konzentrieren.« Moskau und Ankara sollten daran arbeiten, ihre Spannungen abzubauen.
Eine stärkere militärische Unterstützung der NATO für die türkische Luftabwehr mochte Generalsekretär Jens Stoltenberg mit der Eskalation der Spannungen mit Russland nach dem Flugzeugabschuss nicht in Verbindung sehen. Die Entscheidung sei bereits vorher getroffen worden, wie er in Brüssel betonte.
Irans Präsident Hassan Ruhani nannte in Teheran den IS einen Virus, der nicht nur die Region, sondern die ganze Welt anzustecken drohe. Eine Lösung in Syrien und der gemeinsame Kampf gegen den IS sei im Interesse aller Länder. Die Frage, ob Präsident Baschar al-Assad an der Macht bleibe oder nicht, sollte durch freie Wahlen in Syrien entschieden werden. nd/Agenturen
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