Neues Schiff für »Sophia« gesucht
Bewusste Lücken im Syrien-Mandat - und angeblich auch bei der Ausrüstung der Bundeswehr
Nichts aus Afghanistan gelernt, wirft die Opposition der Regierung vor. Das mag im Großen und Ganzen stimmen - schon wenn man sich die allzu raschen, allumfänglichen, zum Krieg führenden Solidaritätserklärungen von Kanzler Gerhard Schröder (2001 an die USA) und Kanzlerin Angela Merkel (2015 an Frankreich) anschaut. Doch zumindest im Detail hat die schwarz-rote Regierung aus rot-grünen Fehlern beim Afghanistaneinsatz gelernt. Beispielsweise wie man ein fehlendes UN-Mandat ersetzt durch Hinweise auf Resolutionen. Nicht von ungefähr hat man alles vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages als völkerrechtlich praktikabel beurteilen lassen.
Gelernt hat die Regierung auch, dass man sich bei der Truppenstärke Luft lässt. Denn so ein Kriegseinsatz fordert in seinem Verlauf mehr Technik, mehr Leute und mehr Risiko. Insgesamt »bis zu 1200 Soldatinnen und Soldaten mit entsprechender Ausrüstung« werden vorerst eingesetzt. Rechnet man die für die bereitgestellte Technik benötigten Soldaten der Luftwaffe und Marine zusammen, berücksichtigt ein paar Stabsoffiziere und zieht die regulär mit der Satellitendatenauswertung ohnehin schon befassten Spezialisten ab, bleiben rund 300 Bewaffnete, die man flexibel einsetzen kann.
Irgendwie scheint beim Kampf gegen den Islamischen Staat alles ein wenig übereilt und wenig durchdacht. Real begannen die US-Bombardements am 8. August 2014. Doch da hatte das United States Central Command (CENTCOM) noch keinen medienwirksamen Namen für die Operation à la »Desert Storm« gefunden.
Erst am 15. Oktober 2014 sprach man von »Inherent Resolve«, also von natürlicher Entschlossenheit. Monate danach besann man sich in Washington und Paris, dass man den Islamischen Staat nicht aufwerten wolle – und bezeichnete den Feind fortan nur als Daesh. Auch die Einsatzkonzepte scheinen nicht ausgereift. Die US Air Force, die Navy und das Marine Corps greifen mit allen bemannten und unbemannten Flugzeugtypen an, die verfügbar sind. So als ginge es um einen Präsentationswettbewerb der Industrie.
Jeder Tag kostet die USA, die 95 Prozent der Alliance-Attacken fliegen, elf Millionen Dollar. 600 000 Gallonen Kerosin (eine Gallone = 3,79 Liter) werden täglich von den Jets verbraucht. Angeblich hat man bisher aus der Luft rund 16 000 Ziele des IS zerstört. hei
Und wo werden die 1200 Frauen und Männer eingesetzt? »Vorrangig im und über dem Operationsgebiet der Terrororganisation IS in Syrien«. Was bedeutet vorrangig? Und wieso nicht nur »über« sondern auch »im« IS-Gebiet? Zum Einsatzraum zählen außerdem »Territorialgebiete von Staaten, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt«. Die Delegierung in Stäbe anderer Staaten ist extra geregelt, die kann also nicht gemeint sein.
Unklar ist, wie die Rettung von Piloten abgestürzter Tornados organisiert wird. Ganz so wirklichkeitsfremd ist die Frage nicht, denn die optimale Einsatzhöhe für die Aufklärungstornados liegt bei 3000 Metern. Die Piloten begeben sich - anders als die Bombenwerfer, die in größeren Höhen anfliegen - in einen möglichen Feuerbereich von Abwehrwaffen. So will man Kräfte zur »Sicherung und Schutz, ggf. Rettung und Rückführung isolierten Personals« bereithalten. Genauer hinhören sollte man, wenn Roderich Kiesewetter erklärt: »Die deutsche Luftwaffe, Marine und auch deutsche Polizisten können dabei helfen, Jordanien, den Libanon und Libyen zu stabilisieren.« Kiesewetter ist doppelt kundig - als Außenpolitiker der Unionsfraktion und als Bundeswehroberst, der dem Reservistenverbandes vorsteht.
Wie ist das mit dem »Recht zur Anwendung militärischer Gewalt«? Die setzte man ein zum »Schutz eigener Kräfte, anderer Partner im Kampf gegen IS sowie zur Nothilfe«. So liest man es im Text, den die Regierung vorgelegt hat. Kann es sein, dass man irgendwann Luftangriffe zum Schutz eigener Bodentruppen oder für kurdische Partner fliegt und dann Kritikern vorhalten kann: Hättet ihr das Mandat mal richtig gelesen ...
Doch die Tornados sind ja nur flügellahme Enten, die sich mit Mühe in die Luft erheben können. Das suggerierten am Mittwoch Pressemeldungen. Wie der Hund auf den Briefträger, so warten Sicherheitsexperten auf die Gelegenheit, über die zahlenmäßig ungenügende und überdies schlechte Ausrüstung der Bundeswehr zu klagen. Nun nutzten sie den jährlichen Routinebericht »zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr«. Den hat Generalinspekteur Volker Wieker am Mittwoch dem Verteidigungsausschuss vorgelegt.
In der Tat sieht es beim fliegenden Material nicht gut aus. Was niemanden verwundert. Unter dem Punkt Tornado liest man, dass die Bundeswehr 93 dieser Flugzeuge hat. Zwischen Januar und Oktober waren davon 65 bis 69 Maschinen nutzbar. 29 galten als einsatzbereit. Mit denen hätte man aus Jagel oder Büchel sofort in einen Einsatz starten können. Für den Syrieneinsatz braucht man gerade einmal sechs Maschinen. Mehr wären auch sinnlos, denn dann würde es knapp mit der notwendigen Aufklärungs- und Auswertetechnik.
Die restlichen Maschinen stehen aber nicht nur am Boden, weil Ersatzteile fehlen. Planmäßig läuft die Modernisierung auf ASSTA-3-Stand, damit die Maschinen fit sind für weitere 20 Jahre Einsatz. Aus der Truppe hört man auch Klagen über ein Softwareprogramm namens SASPF. Das regelt nicht nur die gesamte Instandhaltung, es bestimmt so auch den - rein theoretischen - Stillstand der Maschinen. Bei der Luftwaffe heißt es: Ohne SASPF fliegt nichts, mit SASPE nur wenig. Wohl auch deshalb hat Wiecker darauf hingewiesen, dass die Bundeswehr im Ernstfall deutlich einsatzfähiger ist, als die Zahlen glauben machen.
Apropos glauben. Nun ist bekannt, dass die Fregatte »Augsburg« Teil der französischen Kampfgruppe um den Flugzeugträger »Charles de Gaulle« werden soll. Sie ist verfügbar, weil bereits im Mittelmeer unterwegs.
Klar. Das Schiff war bisher mit dem Versorger »Berlin« vor der Küste Libyens in der »Operation Sophia zur Rettung von Flüchtlingen aus Seenot eingesetzt. Gegenüber «nd» versicherte das Verteidigungsministerium, man beauftrage umgehend ein anderes Schiff. Bis zum Mittwochabend sollte die Marine einen geeigneten «Augsburg»-Ersatz finden, «damit Sophia‹ lückenlos weitergehen kann».
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