Venezuela entscheidet: Votum über Chavismus

Rechte Opposition könnte bei Wahl des neuen Parlaments Mehrheit erzielen / Linker Soziologe Lander über Wiedergewinnung der Würde in den ersten Jahren: »Diese Erfahrung lebt und bleibt«

  • Lesedauer: 3 Min.

Update 9.15 Uhr: RoG kritisiert »Verpflichtung« als Vorzensur
Die Organisation »Reporter ohne Grenzen« wirft der Regierung von Venezuela vor den Parlamentswahlen am Sonntag Vorzensur vor. Internationale Journalisten hätten eine Erklärung des Kommunikationsministeriums unterschreiben müssen, um eine Genehmigung für ihre Berichterstattung zu bekommen, teilte die Organisation mit. Darin verpflichteten sich die Journalisten, bestimmte Normen einzuhalten, unter anderem, keine Bilder, Tonspuren oder Texte zu manipulieren. Nach Ansicht von »Reporter ohne Grenzen« sind die Formulierungen so vage, dass sie als Mittel der Zensur verwendet werden könnten. Sollten sich die Journalisten nicht an die Regeln halten, werde ihnen die Akkreditierung entzogen. »Diese Vorzensur ist nicht hinnehmbar«, kritisierte Emmanuel Colombié, Lateinamerika-Verantwortlicher von »Reporter ohne Grenzen«. Laut der Rangliste der Pressefreiheit liegt Venezuela auf Platz 137 von 180.

Venezuela entscheidet: Votum über Chavismus

Berlin. In Venezuela wird am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Dabei könnte erstmals seit 16 Jahren die rechte Opposition eine Mehrheit erreichen. Die unter Maduros Vorgänger Hugo Chávez noch zersplitterte Opposition hat sich mittlerweile im Bündnis MUD (Mesa de Unidad Democrática, Tisch der demokratischen Einheit) konsolidiert. Für die einfache Mehrheit im neuen Parlament, das am 5. Januar zusammentreten soll, genügen 84 Mandate. Die Opposition strebt eine qualifizierte Mehrheit von 101 beziehungsweise eine absolute Mehrheit von 112 Abgeordneten an. Damit könnte sie Verfassungsänderungen auf den Weg bringen oder ein Referendum über Maduros Verbleib im Amt.

Das Parteienbündnis profitiert von der Unzufriedenheit mit der sozialistischen Regierung von Präsident Nicolás Maduro. Das einstige sozialistische Vorzeigeland ist wirtschaftlich schwer angeschlagen. Lebensmittel und Medikamente sind Mangelware geworden. Die Inflation ist allein in diesem Jahr auf 160 bis 200 Prozent hochgeschnellt. Venezuela leidet massiv unter dem Preissturz bei Erdöl. Und die Regierung findet offenbar kein Rezept gegen die Krise.

Der linke Soziologe Edgardo Lander kritisierte gegenüber »nd« den Umgang der sozialistischen Regierung mit der Krise. Dem »Öl-Sozialismus« sei der Boden unter den Füßen weggezogen worden, als die Ölpreise drastisch zurückgingen. Die Wechselkurspolitik führte schließlich zu den jetzigen massiven Problemen. »Eine Wirtschaft, die derart unstrukturiert ausgerichtet ist, in der es kaum Planungssicherheit gibt, keine Signale für Kosten und Preise, in der der Alltag der meisten Menschen daran ausgerichtet ist, damit umzugehen, kann einfach nicht funktionieren.« Die ersten Jahre des Chavismus seien mit der Wiedergewinnung der Würde jener Menschen, die gesellschaftlich unten stehen, und mit einem hohen Grad an Aktivismus einhergegangen. »Diese Erfahrung lebt und bleibt«, meint Lander. Die entscheidende Frage sei nun, ob der aktuelle Niedergang diese Erfahrungen erhalte oder in Frustration ende.

Etwa 19 Millionen Stimmberechtigte entscheiden über 167 Parlaments-Sitze. Wahlbeobachter der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat Maduro, der Nachfolger des 2013 verstorbenen und weithin verehrten Hugo Chávez, nicht zugelassen. Der Wahlkampf wurde von Gewalt überschattet, ein Oppositionspolitiker wurde ermordet. Der inhaftierte venezolanische Oppositionsführer Leopoldo López darf an der Parlamentswahl in Venezuela am Sonntag teilnehmen. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro habe die Stimmabgabe erlaubt hieß es. López war im vergangenen Jahr wegen des Vorwurfs der Anstachelung zu Gewalt bei Oppositionsprotesten zu fast 14 Jahren Haft verurteilt worden. Agenturen/nd

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