Bittere Bescherung im Nussknackerland
Insolventer Hersteller Steinbach entlässt 80 Mitarbeiter in Sachsen und Niedersachsen
Husarenjäckchen, blanke schwarze Stiefel, eine Reihe weißer Zähne: Nicht erst seit E. T. A. Hoffmann 1816 einen Nussknacker in dieser Gewandung zum Helden seines Märchens vom Mausekönig machte, gehört so ein hölzerner Beißer zu den beliebtesten Weihnachtsaccessoires.
In jener Fabel des Berliner Poeten freut sich die kleine Marie Heiligabend am Gabentisch über solch einen kleinen Kerl. Unzählige seiner Kameraden wurden seither in den Steinbach-Werkstätten geschaffen, wo eine »Bescherung« dieser Tage - ausgerechnet zur Weihnachtszeit - nur Bitterkeit bereitet: die Kündigungen für 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der international bekannten Nussknackermanufaktur Steinbach.
Schon Anfang Oktober hatte das Unternehmen Insolvenz angemeldet. Die Verpflichtung zum Zahlen des gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro habe die wirtschaftliche Schieflage verursacht, hieß es aus dem Unternehmen. Steinbach habe vielen Mitarbeitern Stundensätze von 5,50 und 6,50 Euro gezahlt, erfuhr »nd« vom Konkursverwalter, Rechtsanwalt Manuel Sack aus Hannover. Zwar sei von der Belegschaft angeboten worden, zum bisherigen Lohn weiterzumachen - aber das durfte nicht sein. So seien Kostensteigerungen entstanden, die man durch maßvolles Anheben der Produktpreise nicht habe auffangen können.
Nun ist die Produktionsstätte im sächsischen Marienberg ganz geschlossen worden, und am Firmensitz Hohenhameln in Niedersachsen arbeiten nur noch 30 Beschäftigte. Sie produzieren weiter, so der Insolvenzverwalter. Hergestellt wurden bei Steinbachs die besonders von Sammlern geschätzten Nussknacker seit fast 200 Jahren. Immer wieder wurde das Modellangebot erweitert und aktualisiert. Der traditionelle Husar, so wie ihn Hoffmann dem Märchenkind unter den Tannenbaum legte, gehört nach wie vor zum hölzernen Stamm-Ensemble. Doch hat sich ihm im Laufe der Zeit eine große Mitknackerschar aus anderen Berufen und gesellschaftlichen Stellungen zugesellt.
Die Phantasie, die Steinbachs beim Schaffen immer neuer Figuren walten ließen, hat - das beweist der Exportumsatz - besonders die Kundinnen und Kunden in den USA fasziniert. Darth Vader und Yoda aus den Star-Wars-Filmen wurden in der Steinbach-Manufaktur zu Nussknackern, ebenso die Vogelscheuche und der Zinnmann aus dem amerikanischen Kinderbuch »Der Zauberer von Oz«. Und wer sich harte Nüsse von einem der Amtsvorgänger Barack Obamas knacken lassen möchte, kann das den 18. US-Präsidenten - General Ulysses S. Grant - tun lassen: ein schwarz uniformierter Holzoffizier mit Klappgebiss von Steinbach. Nüsse knackend zeigt sich auch Caspar, einer der heiligen drei Könige von Bethlehem, und last not least der »Pate Drosselmeyer« - jene Hoffmannsche Märchenfigur, die der kleinen Marie den Husaren-Nussknacker mitbringt.
Werden er und seine Kameraden noch Nachfolger bekommen aus Marienberg und Hohenhameln? Konkursverwalter Sack hofft das. Es sei überlegt worden, bestimmte Produktionsschritte »nach außen« zu geben, um die Personalkostenquote zu reduzieren. Zudem sollen mit den Kunden die Preise neu verhandelt werden. Und: »Wir sind auf Investorensuche.« Es habe, so Sack, bereits Gespräche mit mehreren Interessenten für die Nussknackerfirma gegeben.
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