Lebenswerk Autobiografie
»Das sieht alles so marokkanisch hier aus«, sagt die Frau. Sie hat eben die Stammkneipe betreten und ist angetan von den Fliesen. Viele haben die schon bewundert, aber niemand hat sie mit Marokko verglichen. Die Frau wirkt auf mich wie eine Hollywood-Diva, und das liegt vor allem an ihrem Schoßhündchen. »Ich bin Künstlerin, musst du wissen«, ruft sie mir zu. »Okay«, sage ich und hoffe, dass gleich noch ein Stammgast reinkommt, der mich von ihr ablenkt.
Ich habe heute Tresenschicht und bislang einen ruhigen Abend hinter mir. »Kannst du ein paar Fotos von mir machen?«, fragt sie. »Für Facebook.« Ich nicke und komme zu ihrem Platz. »Das muss man als Künstlerin machen, um im Gespräch zu bleiben«, erklärt sie. »Fotos für Facebook?«, frage ich nach. »Nein, Dummerchen. Fotos von Orten, die einen inspirieren.«
Ich mache ein paar Fotos, doch diese sind dunkel und unscharf. Es gibt an ihrem Platz nur eine Lampe und eine Kerze. Ich weise sie darauf hin, dass das mit den Fotos nicht geklappt hat, aber sie ist unbeirrt. Ich soll noch ein paar machen. Wahrscheinlich wird niemand ihre Fotos zur Kenntnis nehmen, weil nichts darauf zu sehen ist.
»Ich arbeite gerade an meiner Autobiografie, und das hier ist ein guter Ort, um sie zu Ende zu schreiben«, lässt sie mich wissen, als ich ihr einen Drink bringe. Ich würde sie auf Anfang vierzig schätzen. In dem Alter schon eine Autobiografie? Ist sie eine von diesen Leuten, die sich in ein Literaturprojekt verrennen? Die Romane schreiben, die niemand außer ihnen versteht und die keiner lesen will? Oder eine Biografie eines gewöhnlichen Lebens ohne Höhepunkte? Und warum hat sie die schon fast fertiggeschrieben?
Sie zeigt mir ein Notizbuch. Darin sind Texte, dazwischen Zeichnungen und hier und da eine eingeklebte Blume. Ich glaube, es wird schwierig, dafür einen Verlag zu finden.
»Bist du auch Künstler?«, fragt sie wenig später in Richtung Tresen. Ich überlege, was ich antworten soll. Wenn ich die Wahrheit sage, steht mir ein Gespräch über das Künstlersein bevor und darauf habe ich keine Lust. Wenn niemand mehr kommt, will ich auch bald schließen.
»Nein«, sage ich deshalb und glaube ein Gefühl zu haben, wie sich all die Verleugner der Geschichte gefühlt haben müssen.
Nach einer halben Stunde ruft sie: »Ich habe meine Autobiografie zu Ende geschrieben.« Dann packt sie ihre Sachen zusammen, kommt an die Theke, zahlt und wirft noch mal einen freudigen Blick auf die Fliesen und die zerschlissenen Sofas und Sessel. »Das erinnert mich an Tel Aviv«, sagt sie dann. »Alles so Multikulti hier. Es ist so schön. Ich komme sicherlich wieder.«
Später schließe ich den Laden ab und trete den Heimweg an. Wiederkommen zu wollen haben schon viele Leute angekündigt. Bei ihr weiß ich nicht so recht, aber mein Gefühl sagt mir, dass ich sie nicht wiedersehen werde. Das ist, glaube ich, auch besser so.
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